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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:4. Abteilung
Rechtsgebiet:Staats- und Gemeindesteuern / direkte Bundessteuer
Entscheiddatum:06.12.2021
Fallnummer:7W 21 51/7W 21 52
LGVE:2022 IV Nr. 5
Gesetzesartikel:Art. 151 DBG, Art. 152 DBG, Art. 153 DBG, Art. 153a DBG; Art. 53 StHG, Art. 53a StHG; § 174 ff. StG.
Leitsatz:Die Praxis der Nachbesteuerung in einem "vereinfachten Verfahren", wonach die bisher nicht versteuerten Einkommens- und Vermögenswerte akkumuliert und in der letzten rechtskräftig veranlagten Steuerperiode mit einem Zuschlag von einem Zehntel nachbesteuert werden, verfügt über keine gesetzliche Grundlage und verletzt die verfassungsmässigen Grundsätze der Besteuerung.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:Aus den Erwägungen:

1.2.
(…) Soweit die Beschwerdeführer mit ihrem Antrag eine Nachsteuerveranlagung auf dem Weg des sog. vereinfachten Verfahrens anstreben, ist das Folgende zu bemerken:

1.2.1.
Ergibt sich aufgrund von Tatsachen oder Beweismitteln, die der Steuerbehörde nicht bekannt waren, dass eine Veranlagung zu Unrecht unterblieben oder eine rechtskräftige Veranlagung unvollständig ist, oder ist eine unterbliebene oder unvollständige Veranlagung auf ein Verbrechen oder ein Vergehen gegen die Steuerbehörde zurückzuführen, so wird die nicht erhobene Steuer samt Zins als Nachsteuer eingefordert (Art. 151 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer [DBG; SR 642.11]). Das Recht, ein Nachsteuerverfahren einzuleiten, erlischt zehn Jahre nach Ablauf der Steuerperiode, für die eine Veranlagung zu Unrecht unterblieben oder eine rechtskräftige Veranlagung unvollständig ist (Art. 152 Abs. 1 DBG). Das Recht, die Nachsteuer festzusetzen, erlischt 15 Jahre nach Ablauf der Steuerperiode, auf die sie sich bezieht (Art. 152 Abs. 3 DBG). Die Einleitung eines Nachsteuerverfahrens wird dem Steuerpflichtigen schriftlich mitgeteilt (Art. 153 Abs. 1 DBG). Im Übrigen sind die Vorschriften über die Verfahrensgrundsätze und diejenigen für das Veranlagungs- und das Beschwerdeverfahren sinngemäss anwendbar, sodass es im Nachsteuerverfahren auch zu einer Ermessensveranlagung kommen kann (Art. 153 Abs. 3 DBG; Richner/Frei/Kaufmann/Meuter, Hand-komm. zum DBG, 3. Aufl. 2016, Art. 153 DBG N 16 ff.; Locher, Komm. zum DBG, III. Teil, Basel 2015, Art. 153 DBG N 12; Looser, in: Komm. zum Schweizerischen Steuerrecht, Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer [Hrsg. Zweifel/Beusch], 3. Aufl. 2017, Art. 153 DBG N 5).

Eine vereinfachte Nachbesteuerung kann für alle Erben eines Erblassers, welcher Bestandteile seines Vermögens oder Einkommens hinterzogen hat, erfolgen (Art. 153a Abs. 1 DBG). Demgegenüber kennt das Recht der direkten Bundessteuer diese Verfahrensart für andere Nachsteuersubjekte ebenso wenig wie das Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG; SR 642.14; vgl. Art. 53a) oder das kantonale Steuergesetz (StG; SRL Nr. 620).

Die kantonalrechtlichen Bestimmungen betreffend das Nachsteuerverfahren entsprechen weitgehend wörtlich jenen des Bundessteuerrechts (vgl. § 174 ff. StG) und erweisen sich im Licht von Art. 53 f. StHG als harmonisierungskonform.

1.2.2.
Mit ihrem Schreiben vom 10. Dezember 2020 schlug die Vorinstanz den Beschwerdeführern Berechnungsmodalitäten (Akkumulation der nicht versteuerten Einkommens- und Vermögenswerte und deren Nachbesteuerung in der letzten rechtskräftig veranlagten Steuerperiode mit einem Zuschlag von 1/10, wobei mit dem Zuschlag auch sämtliche Verzugszinsen pauschal abgegolten seien) vor, welche sich nicht auf die geltenden Vorschriften für das Nachsteuerverfahren stützen können. Indem die Veranlagungsbehörde für die Ermittlung der Nachsteuerfaktoren die periodenkonforme Nachveranlagung mit einer Akkumulation der nicht versteuerten Einkommens- und Vermögenswerte in der letzten rechtskräftig veranlagten Steuerperiode mit einem Zuschlag ersetzen wollte, missachtete sie das harmonisierte kantonale Steuergesetz ebenso wie die Nachsteuervorschriften des DBG. Sie handelte demnach gesetzeswidrig.

Ihre Vorgehensweise widerspricht zudem grundlegend den gesetzlichen Aufgaben, die den Steuerbehörden als Treuhänder für die Solidargemeinschaft der Steuerzahler zum Zweck der Realisierung des Gemeinwesens als Steuerstaat zukommt (vgl. Seer, in: Steuerrecht [Hrsg. Tipke/Lang], 19. Aufl. 2008, § 21 N 2). Nicht nur orientiert sich das von der Steuerbehörde vorgeschlagene "vereinfachte Verfahren" nicht am Ziel der gesetzmässigen Nachveranlagung, sondern missachtet darüber hinaus die verfassungsmässige Pflicht, die Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit der Besteuerung im Sinn der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen zu beachten und durchzusetzen. Mangels gesetzlicher Grundlage könnte dem "vereinfachten Verfahren" kein gerichtlicher Schutz zukommen.