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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:4. Abteilung
Rechtsgebiet:Erbschaftssteuer
Entscheiddatum:13.09.2022
Fallnummer:7H 20 243
LGVE:2023 IV Nr. 1
Gesetzesartikel:Art. 483 Abs. 1 ZGB, Art. 488 Abs. 1 ZGB, Art. 489 ZGB, Art. 491, Art. 492 ZGB; § 1 Abs. 1 EStG, § 3 Abs. 1 EStG, § 5 Abs. 1 EStG; § 33 des Gesetzes betreffend die teilweise Abänderung des Steuergesetzes vom 30. November 1892, § 34 des Gesetzes betreffend die teilweise Abänderung des Steuergesetzes vom 30. November 1892.
Leitsatz:Vorerbschaft auf den Überrest. Nachkommenerbschaftssteuer. Bestimmung der Vorerbschaft, wenn der Nachlass sich aus dem Überrest und aus Werten des nicht verwandten Erblassers zusammensetzt (E. 2). Der Verbrauch der Vorerbschaft auf den Überrest erfolgt grundsätzlich im Verhältnis zu den übrigen vorhandenen Mittel.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:Sachverhalt gekürzt:
D und E lebten in einer Partnerschaft zusammen, waren aber nicht verheiratet. Sie schlossen zusammen mit A (Kind von D) und B (Kind von E) einen Erbvertrag und Erbverzichtvertrag. Das Vertragswerk gründete auf der Absicht von E und D, sich gegenseitig als Erben für den gesamten Nachlass einzusetzen und den beiden Kindern den Nachlass des Letztversterbenden je hälftig zukommen zu lassen. B verzichtete sodann auf den ihr gegenüber ihrer Mutter zustehenden Erbteil zugunsten von D. Umgekehrt verzichtete A auf den ihm gegenüber seinem Vater zustehenden Erbteil zugunsten von E.

D, der Vater von A, verstarb im Jahr 2009 mit letztem Wohnsitz in der Gemeinde C. E trat in der Folge die Erbschaft an. Im Jahr 2018 verstarb E.

A und B, die Tochter von E, traten die Erbschaft von E sel. an.

Im Erbschaftsteuerveranlagungsverfahren war insbesondere strittig, welcher Vermögensteil des Nachlassvermögens von E sel. auf das Nachlassvermögen von D sel. (Vorerbschaft bzw. Nacherbschaft auf den Überrest) zurückzuführen war und welcher Vermögensteil keinen Bezug zum ehemaligen Nachlassvermögen von D sel. aufwies.

Aus den Erwägungen:
1.
1.1.
Gemäss § 1 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Erbschaftssteuer (EStG; SRL Nr. 630) ist von den im Kanton Luzern fallenden Verlassenschaften, soweit die § 3 und § 11 keine Ausnahme machen, eine Erbschaftssteuer zu entrichten. Die Erbschaftssteuern werden von dem im Kanton befindlichen liegenden sowie dem gesamten fahrenden Vermögen des Erblassers, wenn derselbe im Kanton seinen Wohnsitz hatte oder der Erbgang im Kanton eröffnet wurde, berechnet (§ 2 Abs. 1 lit. a EStG). Schenkungen und Vorempfänge, welche in den letzten fünf Jahren vor dem Tode des Erblassers stattgefunden haben, ebenso Leistungen, welche der Erblasser durch Erbverzichtvertrag (Erbauskauf) einem Erben hat zukommen lassen, werden bei Festsetzung des erbschaftssteuerpflichtigen Vermögens mitberechnet (§ 6 Abs. 1 EStG).

Von dem, was an den elterlichen Stamm gelangt, sind Erbschaftssteuern nach dem Massstab von 6 % zu entrichten. Von dem, was an entfernter oder nicht verwandte Personen gelangt, sind Erbschaftssteuern nach dem Massstab von 20 % zu entrichten (vgl. § 3 Abs. 1 lit a und c EStG). Wenn einzelne Erben mehr als Fr. 10'000.-- erhalten, so wird ein Zuschlag von 100 % des Steuerbetrags gemacht, sofern der erhaltene Erbteil Fr. 500'000.-- oder mehr beträgt (vgl. § 5 Abs. 1 Ziff. 10 EStG). Für einen Erbteil im Wert von Fr. 400'001.-- bis Fr. 500'000.-- beträgt der Zuschlag 90 % (vgl. § 5 Abs. 1 Ziff. 9 EStG).

Als massgebender Zeitpunkt für die Bemessung des Nachlasses gilt die Vermögenslage im Zeitpunkt des Todes des Erblassers, sodass alle Vermögenswerte auf diesen Tag hin zu bewerten sind (vgl. Schmid, Das Erbschaftssteuerrecht des Kantons Luzern, Luzern 1966, S. 13 und S. 27).

1.2.
Gestützt auf das kantonale Erbschaftssteuergesetz besteht keine Steuerpflicht für Nachkommen. Das Gesetz betreffend die teilweise Abänderung des Steuergesetzes (SRL Nr. 652) sieht indessen vor, dass die Einwohnergemeinden beschliessen können, von dem Vermögen, das an Nachkommen von Erblasserinnen oder Erblassern geht, eine Erbschaftssteuer zu beziehen. Den Nachkommen gleichgestellt sind Adoptivkinder, uneheliche Nachkommen ohne gesetzliches Erbrecht, Stiefkinder sowie Pflegekinder, sofern das Pflegeverhältnis mindestens zwei Jahre bestanden hat (vgl. § 33 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die teilweise Abänderung des Steuergesetzes).

Für den Bezug dieser (Nachkommen-)Erbschaftssteuer ist vorgegeben, dass die ordentliche Steuer 1 % des ererbten Betrages nicht übersteigen darf. Wenn einzelne Erben mehr als Fr. 10'000.-- erhalten, so können die Zuschläge nach § 5 EStG zur Anwendung gebracht werden. Ferner finden die Bestimmungen des EStG sinngemäss auf die Gemeindeerbschaftssteuer Anwendung (vgl. § 34 des Gesetzes betreffend die teilweise Abänderung des Steuergesetzes).

1.3.
Die Einwohnergemeinde C. hat anlässlich einer Gemeindeversammlung den Antrag auf Einführung einer Nachkommenerbschaftssteuer angenommen. Der Regierungsrat des Kantons Luzern genehmigte in der Folge den Beschluss der Gemeinde C.

2.1.
Nach Art. 483 Abs. 1 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB; SR 210) kann der Erblasser für die ganze Erbschaft oder für einen Bruchteil einen oder mehrere Erben einsetzen. Der Erblasser ist befugt, in seiner Verfügung den eingesetzten Erben als Vorerben zu verpflichten, die Erbschaft einem andern als Nacherben auszuliefern (Art. 488 Abs. 1 ZGB). Der Vorerbe erwirbt die Erbschaft wie ein anderer eingesetzter Erbe; er wird Eigentümer der Erbschaft unter der Pflicht zur Auslieferung (vgl. Art. 491 ZGB). Der Nacherbe erwirbt die Erbschaft des Erblassers, wenn er den für die Auslieferung bestimmten Zeitpunkt erlebt hat. Erlebt er diesen Zeitpunkt nicht, so verbleibt die Erbschaft, wenn der Erblasser nicht anders verfügt hat, dem Vorerben (Art. 492 ZGB).

Die Nacherbeneinsetzung regelt demnach zwei aufeinanderfolgende Erbgänge (sog. konsekutive Erbfolge) in der Weise, dass der Vorerbe durch Verfügung des Erblassers verpflichtet wird, die Erbschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt dem Nacherben auszuliefern. Nach dem Willen des Erblassers soll also der Nachlass dem Vorerben nicht frei, sondern mit einer späteren Auslieferungsverpflichtung überlassen werden. Der Erblasser will zwei sukzessive Gesamtnachfolgen begründen, was in der Verfügung von Todes wegen erkenntlich sein muss. Vorerbe und Nacherbe sind Erben desselben Erblassers aufgrund desselben und einzigen auf ihn bezogenen Erbgangs. Mit dem Tod des Erblassers erwirbt der Vorerbe die Erbschaft wie ein anderer Erbe. Die Erbenstellung des Vorerben ist resolutiv bedingt, jene des Nacherben suspensiv (vgl. BGer-Urteil 2C_242/2014 vom 10.7.2014 E. 2.2.2 mit Hinweisen).

2.2.
Es ist zulässig, die Stellung des Vorerben insofern zu verbessern, dass er nur zur Auslieferung dessen an den Nacherben verpflichtet ist, was er bis zum Zeitpunkt der Auslieferung − dies entspricht, sofern nicht in der Verfügung etwas anderes bestimmt wurde, dem Tod des Vorerben (vgl. Art. 489 Abs. 1 ZGB) − noch nicht selbst verbraucht hat. In der Lehre und Rechtsprechung wird diesbezüglich von der Nacherbeneinsetzung auf den Überrest gesprochen (vgl. BGE 133 III 309 E. 5; Hrubesch-Millauer, in: Handkomm. Zum Schweizer Privatrecht, Erbrecht [Hrsg. Breitschmid/Jungo], 3. Aufl. 2016, Art. 488 N 13). Der Vorerbe erhält in diesem Fall über die zur Vorerbschaft gehörenden Vermögenswerte volle Verfügungsfähigkeit, sodass diese veräussert oder verpfändet werden können. Die Verfügungsbefugnis, d.h. die Frage, in welchem Umfang der Vorerbe zum Ge- und Verbrauch der Vorerbschaft berechtigt ist, bestimmt sich primär aus dem Errichtungsakt. In der Lehre ist anerkannt, dass bei einer Nacherbeneinsetzung auf den Überrest der Vorerbe die Vorerbschaft nicht bloss für die Finanzierung des gewöhnlichen Lebensunterhalts verwenden kann. Vielmehr gilt es als zulässig, wenn die Vorerbschaft auch zur Befriedigung von ausgefallenen und teuren, ja gar luxuriösen Bedürfnissen dient. Die Verfügungsbefugnis erweist sich aber nicht schrankenlos, sondern wird durch die allgemeinen Prinzipien der Rechtsordnung sowie aus der Natur des Instituts selbst beschränkt (Schmucki, Die Nacherbeneinsetzung auf den Überrest, Diss. Zürich 1982, S. 77 f. m.w.H.). Ausgehend von der Annahme, der Erblasser hätte "nur" den Vorerben in dessen persönlichen Position besser stellen wollen, wird es als unzulässig angesehen, wenn der Vorerbe unentgeltlich über Mittel der Vorerbschaft verfügen können soll. Das deutsche Recht, welches die Nacherbeneinsetzung umfangreicher regelt als das ZGB (vgl. § 2100-2146 des Bürgerlichen Gesetzbuchs [BGB]), sieht denn auch ein solches Verbot der unentgeltlichen Zuwendung der Vorerbschaft vor (vgl. § 2113 Abs. 2 BGB i.V.m. § 2136 BGB). Das Bundesgericht hat das Verbot der unentgeltlichen Zuwendung − sei sie mittels Schenkung oder auf testamentarischen Weg − bestätigt (BGE 100 II 92 E. a).

2.3.
Ist der Vorerbe verstorben, ist der Überrest der Vorberschaft an den Nacherben auszuliefern. Gegenstand der Auslieferung bilden vorab die in natura vorhandenen Erbschaftsgegenstände. Hat der infrage stehende Gegenstand während der Dauer der Vorerbschaft einen Mehrwert erfahren, wirkt sich dies zugunsten des Nacherben aus, wobei er aber dem Vorerben diejenigen Auslagen ersetzen muss, die sich für die Wertsteigerung nützlich erwiesen haben. Umgekehrt hat der Nacherbe auch eine Wertverminderung des noch in natura vorhandenen Gegenstands zu tragen.

Sind die Gegenstände, welche auf den Vorerben kraft der Vorerbschaft übergingen, nicht mehr vorhanden, kommt das sogenannte Surrogationsprinzip zum Tragen. Danach gehören auch alle Werte, welche aus Mitteln der Vorerbschaft erworben wurden bzw. Ersatz eines Vorerbschaftsgegenstands darstellen, zu der an den Nacherben auszuliefernden Erbschaft. Kam es im Lauf der Vorerbschaft zu einem Verbrauch, so hat der Verbrauch der Vorerbschaft im Verhältnis zu den übrigen vorhandenen Mittel zu erfolgen, vorausgesetzt, aus dem Willen des Erblassers ergebe sich nichts anderes (Tuor, Berner Komm., 2. Aufl. 1952, Art. 492 ZGB N 32; Scherrer, Die Nacherbeneinsetzung auf den Überrest, in: Zum Schweizerischen Erbrecht, Festschrift für Peter Tuor, S. 109 ff.).

3.
3.1.
Nach der Rechtsprechung hat der Nacherbe die Erbschaftssteuern nach Massgabe seines Verwandtschaftsverhältnisses zum Erblasser − und nicht zum Vorerben – zu entrichten (LGVE 1983 II Nr. 14 E. 2, mit Hinweisen, bestätigt in: LGVE 2004 II Nr. 28 E. 2b mit Hinweisen).