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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Gesundheits- und Sozialdepartement
Abteilung:-
Rechtsgebiet:Sozialhilfe
Entscheiddatum:08.06.2022
Fallnummer:GSD 2022 4
LGVE:2022 VI Nr. 4
Gesetzesartikel:§ 2 Abs. 1 Bst. c SHG, § 5 SHG
Leitsatz:Die Anrechnung von Geldzuflüssen im Unterstützungsbudget ist aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Ein relativ geringes Vermögenssurrogat für persönliche Effekten ist im Sozialhilfebudget einnahmeseitig nicht anzurechnen. Auch Einnahmen von bescheidenem Umfang sind im Unterstützungsbudget nicht zu berücksichtigen, wenn eine Anrechnung dem Ziel der eigenverantwortlichen Selbsthilfe und damit verbundenen Anreizüberlegungen zuwiderläuft.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:Das Ehepaar A generierte aus dem Verkauf von nicht mehr gebrauchten Kleidern ihrer minderjährigen Kinder einen Verkaufserlös von unter 50 Franken. Der Betrag wurde im Unterstützungsbudget einnahmeseitig berücksichtigt.

Aus den Erwägungen:
3.
3.1. Bei der Bemessung des Anspruchs auf wirtschaftliche Sozialhilfe wird unterschieden zwischen Einnahmen und Vermögen (Skos-Richtlinien D.1 und D.3).

Der sozialhilferechtliche Einnahmen-Begriff ist weit gefasst. Es gilt der Grundsatz, dass sämtliche – einmaligen oder laufenden – Einnahmen voll anzurechnen sind, unabhängig von deren Herkunft oder Rechtsnatur. Die Sozialhilfe ist nicht nur gegenüber privat- und öffentlich-rechtlichen Leistungen wie Leistungen der Sozialversicherungen, familienrechtlichen Unterhaltsbeiträgen, Ansprüchen aus Verträgen, Schadenersatzansprüchen oder Stipendien nachrangig, sondern auch gegenüber Leistungen Dritter, die ohne rechtliche Verpflichtung erbracht werden (Subsidiaritätsprinzip). Dennoch gibt es Einnahmen, die generell oder im Einzelfall nicht oder lediglich teilweise anrechenbar sind. Das hängt vor allem mit Anreizüberlegungen (z.B. Einkommensfreibetrag), dem gesetzlichen Integrations- und Präventionsauftrag sowie dem spezifischen Charakter und Zweck einzelner Zuwendungen (z.B. Leistungen aus Genugtuung) zusammen (vgl. Guido Wizent, Sozialhilferecht, Zürich/St. Gallen 2020, Rz. 621 f., nachfolgend: Wizent, Sozialhilferecht).

3.2. Zu den Einnahmen der unterstützten Person gehören unter anderem auch freiwillige Zuwendungen Dritter, sofern keine Ausnahme gewährt wird (Skos-Richtlinien A.3 und D.1, jeweils Erläuterungen Bst. a). Beispiele derartiger Hilfe sind Leistungen von privaten und kirchlichen Sozialwerken, freiwillige Leistungen von Angehörigen oder freiwillige Leistungen von Krankenkassen (LGVE 2008 III Nr. 17 E. 3.2). Unerheblich ist, ob es sich um Geld- oder Naturalleistungen handelt. Ausnahmen von einer Anrechnung im Budget sind somit zufolge der Skos-Richtlinien zu gewähren. Ob eine Ausnahme von der Anrechnung gemacht wird, liegt grundsätzlich im Ermessen des Sozialhilfeorgans.

Eine etablierte Formel lautet, dass vom Grundsatz der Anrechnung generell dann abzusehen ist, wenn sich (kumulativ) die Zuwendungen in einem relativ bescheidenen Umfang bewegen, diese ausdrücklich zusätzlich zu den Sozialhilfeleistungen erbracht werden (oft mit einer besonderen Zweckbestimmung wie z.B. Ferien) und sie der Dritte bei einer Anrechnung einstellen würde (vgl. Wizent, Sozialhilferecht, Rz. 645 ff.).

3.3. Zum Vermögen gehören sämtliche Vermögenswerte, auf die eine hilfesuchende Person einen Eigentumsanspruch hat. Zum anrechenbaren Vermögen gehören unter anderem Geldmittel und Guthaben auf Bank- und Postkonten. Nicht zum anrechenbaren Vermögen gehören Vermögenswerte, die im Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG; SR 281.1) als unpfändbar erklärt werden (Art. 92 SchKG). Dazu gehören die dem persönlichen Gebrauch dienenden Gegenstände wie Kleider, Effekten, Hausgeräte, Möbel oder andere bewegliche Sachen, soweit sie unentbehrlich sind (Skos-Richtlinien D.3.1 und Erläuterungen Bst. a).

3.4. Nach Wizent ist für die Unterscheidung zwischen Einnahmen und Vermögen beim formalen Zufluss anzuknüpfen (Zuflusstheorie). Zuflüsse vor Beginn der Unterstützung stellen grundsätzlich Vermögen dar, Zuflüsse während der Unterstützung gelten als Einnahmen. Allerdings ist bei Zuflüssen während der Unterstützung zu differenzieren, ob damit zu Beginn der Unterstützung bereits Vorhandenes ersetzt wird oder nicht. Erwerbsausfallleistungen stellen voll anrechenbare Einnahmen dar, während etwa Schadenersatz für die Beschädigung oder den Verlust einer zu Beginn der Unterstützung bereits vorhandenen Sache als Vermögen mit entsprechendem Vermögensfreibetrag zu bezeichnen ist. In gewissen Fällen drängen sich zusätzliche inhaltliche Wertungen auf. Beispielsweise bewirkt ein vor Unterstützungsbeginn bereits vorhandenes Vermögen, das während der Unterstützung verwertet wird (Ersatzanschaffung bzw. Surrogat, z.B. Verkauf eines Autos), keine Werterhöhung, sondern lediglich eine Vermögensumschichtung. Deshalb stellen Surrogate Vermögen (mit entsprechendem Vermögensfreibetrag) dar (Wizent, Sozialhilferecht, Rz. 616 und 619 f.).

Erhält die unterstützte Person beispielsweise Schadenersatz von der Versicherung für ein gestohlenes Fahrrad, welches bei Unterstützungsbeginn bereits in deren Eigentum war und zu den persönlichen Effekten zählte, stellt dies ein Vermögenssurrogat dar, das nicht zur Bestreitung des Lebensunterhalts zu verwenden ist (Urteil des Kantonsgerichtes 7H 15 108 vom 5. November 2015 E. 4.2).

4.
4.1. (Ausführungen zur Höhe des Verkaufserlöses (Gutschrift))

4.2. (…) Bei freiwilligen Zuwendungen von bescheidenem Umfang kann von einer Anrechnung im Sozialhilfebudget abgesehen werden (oben, Ziff. 3.2). Freiwillige Zuwendungen werden jedoch ohne rechtliche Verpflichtung erbracht und im Prinzip auch ohne Gegenleistung. Somit kann es sich beim Erlös aus dem Verkauf von persönlichen Effekten wie im vorliegenden Fall nicht um eine freiwillige Zuwendung handeln.

Die Gutschriften gehen vorliegend vielmehr auf den Verkauf von persönlicher und gebrauchter Habe zurück und bewegen sich in einem bescheidenen Rahmen. Der Verkaufserlös wurde im Rahmen eines privaten Kaufvertrags von der Käuferschaft für die Ware (gebrauchte Kinderkleider) und die von den Beschwerdeführenden vorgestreckten Versandspesen bezahlt. Buchhalterisch handelt es sich um einen Aktivtausch (Sachwert gegen Geld), jedenfalls soweit mit dem Verkaufspreis nicht ein über dem Warenwert liegender Gewinn erzielt wurde. Es handelt sich um ein relativ geringes Vermögenssurrogat für persönliche Effekten, für welche die Beschwerdeführenden keine Verwendung mehr hatten bzw. die sie zu ersetzen gedachten (…). Damit fällt eine Anrechnung im Sozialhilfebudget grundsätzlich bereits ausser Betracht (vgl. oben, Ziff. 3.4).

5.
5.1. Die Sozialhilfe fördert die Eigenverantwortung durch Hilfe zur Selbsthilfe. Zufolge des Subsidiaritätsprinzips hat jede Person alles Zumutbare zu unternehmen, um eine Notlage aus eigenen Kräften zu beheben (zumutbare Selbsthilfe). Gleichzeitig haben die Behörden gemäss § 5 des Sozialhilfegesetzes (SHG, SRL Nr. 892) bei der Gewährung der Sozialhilfe den Besonderheiten und Bedürfnissen des Einzelfalls angemessen Rechnung zu tragen. Nach dem Individualisierungsprinzip sind bei der Anrechnung von Einnahmen und Vermögen stets auch die persönlichen, spezifischen Verhältnisse der unterstützten Person zu berücksichtigen (Skos-Richtlinien, A.2 und A.3, je mit Erläuterungen; Wizent, Sozialhilferecht, Rz. 609).

Eine Anrechnung der Gutschriften im Budget würde vorliegend – gemessen am geringen Umfang des erzielten Verkaufserlöses und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Beschwerdeführenden sich um einen Verkauf von nicht mehr gebrauchten Kleidern selbst von geringem Wert bemüht haben – einem wichtigen Ziel der Sozialhilfe, die zumutbare Selbsthilfe zu fördern, zuwiderlaufen. So ist bei der Bemessung der wirtschaftlichen Sozialhilfe zu berücksichtigen, dass die Organe der Sozialhilfe Bestrebungen im Rahmen der zumutbaren Selbsthilfe bis zu einem gewissen Mass honorieren sollen, um Anreize zur eigenverantwortlichen Bedarfsminderung nicht im Keim zu ersticken.

Analog zum Einkommensfreibetrag soll ein vollständiger oder teilweiser Verzicht auf eine Anrechnung sozialhilfebeziehenden Personen signalisieren, dass sich eigenständige Bemühungen auch lohnen. In Anlehnung an die Richtschnur für Ausnahmen bei freiwilligen Zuwendungen (oben, Ziff. 3.2) ist vorliegend zu berücksichtigen, dass es sich um einen Betrag von bescheidenem Umfang handelt, dass dieser nicht anstelle der wirtschaftlichen Sozialhilfe, sondern als Gegenwert für die verkauften Kinderkleider entrichtet wurde, und dass bei einer Anrechnung die Initiative der Beschwerdeführenden, einen Käufer für nicht mehr gebrauchte persönliche Habe von geringem Wert zu finden, zukünftig wohl unterbliebe.