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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:1. Abteilung
Rechtsgebiet:Erbrecht
Entscheiddatum:22.12.2021
Fallnummer:1B 21 20
LGVE:2023 I Nr. 1
Gesetzesartikel:Art. 482 ZGB
Leitsatz:Zur Aktivlegitimation der Vollziehungsklage nach Art. 482 ZGB:



Art. 482 Abs. 1 ZGB verlangt für die Klagelegitimation der Vollziehungsklage ausdrücklich ein Interesse und schliesst mithin Popularklagen aus. Folglich ist es mit dem Gesetz nicht vereinbar, wenn aus der in der erbvertraglichen Auflage enthaltenen Zweckwidmung zugunsten öffentlicher Interessen ein Begünstigtenkreis im Sinne der gesamten Öffentlichkeit resp. Bevölkerung abgeleitet würde, ohne dass der Einzelne hierfür ein zusätzliches, direktes und sich von anderen Personen unterscheidendes – also nicht lediglich allgemeines – Interesse an der Vollziehung der Auflage vorweisen müsste.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:Aus den Erwägungen:

7.3.
Nach Art. 482 Abs. 1 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB; SR 210) kann die Vollziehung einer Auflage von jedermann verlangt werden, der an ihr ein Interesse hat. Der Kreis der Interessierten ist nicht eng zu ziehen. Ein vermögensrechtliches Interesse ist nicht erforderlich, ein nichtwirtschaftliches (ideelles) Interesse genügt. Der Gesetzgeber war bestrebt, durch die allgemeine Formulierung von Art. 482 Abs. 1 ZGB jedem, der ein berechtigtes Interesse hat, die Erfüllung der ihn begünstigenden Auflage zu sichern. Ein solches berechtigtes Interesse hat in erster Linie der Bedachte (BGE 108 II 278 [= Pra 1982 Nr. 298] E. 4d, 105 II 253 E. 2d). Ohne Weiteres sind auch die gesetzlichen Erben und deren Erben sowie der Willensvollstrecker und Erbschaftsverwalter zur Klage berechtigt. Auch Freunde und Verwandte des Erblassers, welche die Vollziehung aus Pietätsgründen verlangen, sind legitimiert. Liegt eine Auflage im öffentlichen Interesse, kann – analog zu Art. 246 Abs. 2 des Obligationenrechts (OR; SR 220) – das betroffene Gemeinwesen die Erfüllung der Auflage einklagen (vgl. Wolf/Hrubesch-Millauer, Schweizerisches Erbrecht, 2. Aufl. 2020, N 793; Staehelin, Basler Komm., 6. Aufl. 2019, Art. 482 ZGB N 25). Ein direktes und besonderes Interesse am Vollzug der Auflage ist indessen stets vorauszusetzen, denn Art. 482 Abs. 1 ZGB statuiert keine jedermann zustehende Popularklage (Wolf/Genna, Schweizerisches Privatrecht IV/1, Erbrecht, Basel 2012, S. 327; Piotet, Schweizerisches Privatrecht IV/1, Erbrecht, Basel 1978, S. 149).

7.4.
7.4.1.
Die im Erbvertrag vom 19. Oktober 1931 stipulierte Auflage verlangt, dass das Schloss Utenberg auf immer und ausschliesslich öffentlichen Interessen dienstbar sein soll. Demnach wäre grundsätzlich der Luzerner Stadtrat zur Erhebung der Vollziehungsklage legitimiert. Wie die Vorinstanz jedoch zu Recht erwogen hat, ist die Stadt Luzern gleichzeitig Auflagebeschwerte und Beklagte im hier interessierenden Verfahren und angesichts dieses Interessenskonflikts folglich nicht geeignet, als Hüterin des öffentlichen Interesses und Vollziehungsberechtigte aufzutreten. Um zu bestimmen, wer zur Erhebung der vorliegenden Vollziehungsklage legitimiert ist, ist daher auf das in Art. 482 Abs. 1 ZGB erwähnte (berechtigte) Interesse abzustellen.

7.4.2.
In diesem Zusammenhang brachte der Kläger erstinstanzlich vor, aufgrund des ideellen Charakters der streitigen Auflage vermöge nur ein ideelles Interesse die Durchsetzung des Vertragswillens zu schützen. Auch sei die Klagelegitimation gemäss Art. 482 ZGB grundsätzlich weit zu fassen. Aus dem Begünstigtenkreis der Auflage sei sodann zu folgern, dass ein ideelles Durchsetzungsinteresse nicht nur den Einwohnerinnen und Einwohnern der Stadt Luzern, sondern auch der näheren Umgebung zuzusprechen sei; schliesslich auch ortsfremden Personen mit einem persönlichen Bezug zur Stadt Luzern. Damit liege keine Popularklage vor, sondern eine auf dem Wortlaut des Erbvertrags beruhende Zuschreibung der Klagelegitimation an den Begünstigtenkreis der Auflage. Einem beliebigen In- oder Ausländer ohne jeglichen geografischen oder ideellen Bezug zur Stadt Luzern im Allgemeinen und zum Schlössli Utenberg im Besonderen wäre sicherlich keine Klagelegitimation zuzusprechen. Zudem sei der Begünstigtenkreis der Auflage zwar im Vergleich zu demjenigen familiär adressierter Auflagen relativ gross, deswegen aber keineswegs gänzlich unbestimmt oder nicht bestimmbar. Er, der Kläger, sei seit seiner Geburt in Luzern ansässig, kulturell und historisch interessiert und mit dem Schlössli Utenberg lokal und emotional verbunden. Damit erfülle er das Kriterium des ideellen Durchsetzungsinteresses mehr als genügend. Das grosse ideelle öffentliche Interesse an der gerichtlichen Klärung der Frage, wie die Stadt Luzern das Schloss gemäss Erbvertrag nutzen darf, widerspiegle sich in seinem ideellen Interesse an der vorliegenden Klage. Dieses Interesse habe ihm das Kantonsgericht in seinem Entscheid 1C 18 23 vom 13. Dezember 2018 über den Kostenvorschuss denn auch bescheinigt. Eine Verneinung seiner Aktivlegitimation würde die Auflage auf einen blossen Wunsch des Erblassers ohne klagbaren Anspruch reduzieren.

7.4.3.
7.4.3.1.
Dass ein nichtwirtschaftliches, ideelles Interesse an der Vollziehung der Auflage genügt, um aktivlegitimiert zu sein, steht vorliegend ausser Frage. Ebenso ist unbestritten, dass nebst den gesetzlichen Erben und deren Erben, dem Willensvollstrecker und Erbschaftsverwalter sowie Freunden und Verwandten des Erblassers auch den Begünstigten ein berechtigtes Interesse an der Auflage zugesprochen wird. Uneinigkeit besteht jedoch darin, ob der Kläger überhaupt als Begünstigter der streitigen Auflage in Frage kommt. Deren Wortlaut zufolge soll "das Schloss (…) unter dem Namen 'Schloss Utenberg' auf immer und ausschliesslich öffentlichen Interessen dienstbar sein (…)". Eigentliche Bedachte nennt die Auflage somit nicht. Dies ist auch nicht zu beanstanden. Im Gegensatz zur Erbeneinsetzung oder zum Vermächtnis braucht der Erblasser die Drittpersonen, welchen durch die Auflage ein Vorteil zukommen soll, nicht zu bestimmen (vgl. Lüdi, Auflagen und Bedingungen in Verfügungen von Todes wegen unter Berücksichtigung des deutschen Rechts, Diss. Zürich 2016, S. 243; Uffer-Tobler, Die erbrechtliche Auflage, Diss. Bern 1982, S. 25). Es kann sogar sein, dass die Auflage gar keinen Destinatär hat, so etwa bei der Auflage, dass für die Seelenruhe des Erblassers täglich Messen zu lesen sind, oder bei Anordnungen des Erblassers über die Bestattung (vgl. Wolf/Genna, a.a.O., S. 325 f.). Es reicht, wenn der Erblasser die Begünstigten soweit umschreibt, dass deren nähere Bestimmung im Nachhinein möglich ist (vgl. Baddeley, in: Commentaire Romand, Code civil II, Basel 2016,, Art. 482 ZGB N 5); der Zweck der Auflage umgrenzt dabei den Kreis der in Frage kommenden Destinatäre (Staehelin, a.a.O., Art. 482 ZGB N 24; vgl. auch BGE 120 II 182 E. 2b, gemäss welchem die Destinatäre der Auflage, wonach die vermachte Liegenschaft als Kindergarten zu beziehen sei, die künftigen Kindergartenschüler seien, sowie BGE 76 II 202 E. 2, welcher die älteren, kränklichen römisch-katholischen Priester, für die das Schlossgut als Erholungsheim eingerichtet und verwendet werden soll, als Auflageadressaten bezeichnet). Die Auflage wird denn auch primär durch die Zweckbestimmung und nicht durch die Person der Begünstigten spezifiziert (Staehelin, a.a.O., Art. 482 ZGB N 24).

7.4.3.2.
Der Zweck der im Erbvertrag vom 19. Oktober 1931 enthaltenen Auflage besteht darin, das Schloss Utenberg im öffentlichen Interesse zu nutzen. Mögliche Destinatäre lassen sich dieser Zweckwidmung jedoch entgegen der Vorbringen des Klägers nicht entnehmen. Der Wortlaut der Zweckbestimmung ("das Schloss [soll] unter dem Namen 'Schloss Utenberg' auf immer und ausschliesslich öffentlichen Interessen dienstbar sein") ist denn auch bewusst offen formuliert. Auch wurde darauf verzichtet, im Erbvertrag näher zu definieren, was unter "öffentlichen Interessen" zu verstehen ist. Ausgehend davon, dass es sich dabei in erster Linie um die Anliegen des Gemeinwesens resp. der Allgemeinheit handelt, lässt sich damit keine klar abgrenzbare Personenmenge bestimmen, denen die Nutzung des Schlosses Utenberg zugutekommen soll (im Gegensatz zu den künftigen Kindergartenschülern im Einzugsgebiet des vermachten Kindergartens [BGE 120 II 182 E. 2b] oder den älteren, kränklichen römisch-katholischen Priestern [BGE 76 II 202 E. 2]). Darüber hinaus wäre es mit Art. 482 Abs. 1 ZGB, der für den Vollziehungsanspruch ausdrücklich ein "Interesse" verlangt und mithin eine Popularklage ausschliesst, nicht vereinbar, wenn aus den genannten "öffentlichen Interessen" ein Begünstigtenkreis im Sinne der gesamten Öffentlichkeit resp. Bevölkerung abgeleitet würde, ohne dass der Einzelne hierfür ein zusätzliches, direktes und sich von anderen Personen unterscheidendes – also nicht lediglich allgemeines – Interesse an der Vollziehung der Auflage vorweisen müsste. Indem die Vorinstanz erwog, es liege auf der Hand, dass zu den "öffentlichen Interessen" auch die Interessen der Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt Luzern als "Publikum" zählen, weshalb dem Kläger als Einwohner der Stadt ein ideelles Interesse zuzugestehen und seine Aktivlegitimation zu bejahen sei, liess sie im Ergebnis eine Popularklage zu, was nicht zulässig ist. Im Weiteren sind die Vorbringen des Klägers, wonach er seit seiner Geburt in Luzern ansässig, kulturell und historisch interessiert und mit dem Schlössli Utenberg lokal und emotional verbunden sei, weder substanziiert noch belegt. Die Gründung der Stiftung Schlössli Utenberg, für welche er als Präsident des Stiftungsrats amtet, wurde denn auch zu spät ins Verfahren eingebracht. Mithin ist nicht ersichtlich, inwiefern dem Kläger zur Erhebung der vorliegenden Vollziehungsklage ein berechtigtes Interesse zukommen soll, das anderen Personen aus der Bevölkerung nicht ebenfalls zugeschrieben werden kann. Einzig der Umstand, dass er Einwohner der Stadt Luzern ist, verschafft ihm jedenfalls kein solches Interesse. Ebenso wenig lässt sich aus der Überlegung, dass zu den öffentlichen Interessen auch die Interessen der Stadtbewohner zählen, das für die Klagelegitimation notwendige direkte und besondere Interesse am vom Erblasser verfolgten Zweck ableiten. Somit besteht vorliegend keine Grundlage, um die Aktivlegitimation des Klägers zu bejahen.

7.4.3.3.
Entgegen der Vorbringen des Klägers bedeutet dieser Schluss nicht, dass die streitige Auflage zu einem erblasserischen Wunsch verkommt. Zwar ist es so, dass der Gesetzgeber den Kreis der Klagelegitimierten bewusst weit ziehen wollte, um eine möglichst grosse Wirksamkeit der Auflage zu erzielen und die Einhaltung der Auflage nicht einzig der Gewissenhaftigkeit des Auflagenbelasteten zu überlassen. Dieses Ziel kann jedoch auch mit den übrigen zur Vollziehungsklage berechtigten Personen wie den gesetzlichen Erben und deren Erben, dem Willensvollstrecker und Erbschaftsverwalter sowie den Freunden und Verwandten des Erblassers erreicht werden. Dass knapp 73 Jahre nach dem Ableben des Erblassers (verstorben am 24.3.1949) allenfalls keine aktivlegitimierten Personen mehr leben und überdies wegen des Interessenskonflikts auch das betroffene Gemeinwesen nicht klageberechtigt sein kann, vermag daran nichts zu ändern. Zur Aktivlegitimation braucht es wie erwähnt ein nachweisliches persönliches und unterstützungswürdiges Interesse an der Vollziehungsklage und zwar auch dann, wenn das Interesse rein ideeller Natur ist. Dieser Nachweis hat der Kläger nicht erbracht und ein solches Interesse wurde ihm im Entscheid des Kantonsgerichts 1C 18 23 vom 13. Dezember 2018 auch nicht attestiert. Das Gericht hielt dort einzig fest, dass der Kläger mit seiner Klage einen ideellen und nicht einen wirtschaftlichen Zweck verfolge, weshalb es sich um eine nicht vermögensrechtliche Streitigkeit handle. Die Frage, ob tatsächlich ein berechtigtes (ideelles) Interesse an der Auflage vorliegt, hatte das Gericht dort nicht zu beantworten.

7.4.4.
Nach dem Gesagten ist die Aktivlegitimation des Klägers zu verneinen.