Drucken

Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:2. Abteilung
Rechtsgebiet:Eheschutzverfahren
Entscheiddatum:23.11.2022
Fallnummer:3B 21 54
LGVE:2023 II Nr. 1
Gesetzesartikel:Art. 179 Abs. 1 ZGB.
Leitsatz:Die materiell-rechtliche Prüfung eines Abänderungsbegehrens erfolgt dreistufig: Interventionsschwelle, Aktualisierung, Kontrolle. Dies gilt für jedes Abänderungsverfahren, unabhängig davon, ob Unterhalt oder andere Belange strittig sind. Erst wenn alle drei Stufen erfolgreich passiert sind, mithin alle Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind, ist das Abänderungsbegehren materiell gutzuheissen.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:4.4.1
(…)
Die materiell-rechtliche Prüfung eines Abänderungsbegehrens erfolgt dreistufig: Interventionsschwelle, Aktualisierung, Kontrolle. Dies gilt für jedes Abänderungsverfahren, unabhängig davon, ob Unterhalt oder andere Belange strittig sind. Dieses stufenweise Vorgehen erleichtert die Anwendung. Erst wenn alle drei Stufen erfolgreich passiert, mithin alle Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind, ist das Abänderungsbegehren materiell gutzuheissen (Staub, Die Abänderung familienrechtlicher Entscheide, Zürich 2022, N 4; mit Hinw. auf BGer-Urteil 5A_762/2020 vom 9.2.2021 E. 5 in fine). Auf der ersten Stufe (Interventionsschwelle) ist zu prüfen, ob sich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer betroffenen Person verändert hat. Diese ergibt sich aus der Gegenüberstellung vom gesamten Eigenbedarf einerseits und dem gesamten Nettoeinkommen der betroffenen Person andererseits. Es muss sich nicht zwingend die Leistungsfähigkeit jener Partei verändert haben, die auf Abänderung klagt. Ob eine Veränderung vorliegt, misst sich einzig daran, ob sich – bei isolierter Betrachtungsweise – die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mindestens einer Person, also der Abänderungsklägerin, des Abänderungsbeklagten und/oder – falls nicht Partei – des unterhaltsberechtigten Kindes, verändert hat. Das heisst, die Veränderung bei einer Person genügt. Ob und inwiefern sich (auch) die Leistungsfähigkeit anderer Personen verändert hat, spielt auf der ersten Stufe keine Rolle. Hat beispielsweise sich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners um einen bestimmten Betrag verbessert und gleichzeitig sich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Unterhaltsgläubigerin um denselben Betrag verschlechtert, darf dies nicht (vorschnell) zum Schluss führen, dies hebe sich gegenseitig auf und das Abänderungsbegehren sei auf erster Stufe (Interventionsschwelle) abzuweisen. Denn auf der ersten Stufe (also noch vor der auf zweiter Stufe folgenden Unterhaltsberechnung) lässt sich nicht beurteilen, welche Auswirkungen diese Änderungen auf das Endresultat haben. So ist für das Endresultat allenfalls noch eine aus dem Ursprungsentscheid stammende überhälftige Überschussverteilung usw. zu berücksichtigen. Heben sich die Veränderungen des Einkommens und/oder Bedarfs der betreffenden (einen) Person gegenseitig auf, scheitert das Abänderungsbegehren somit bereits auf der ersten Stufe (Interventionsschwelle). Falls jedoch feststeht, dass sich die Leistungsfähigkeit mindestens einer Person verändert hat und diese Veränderung die übrigen Voraussetzungen wie Wesentlichkeit, Dauerhaftigkeit und Nichtberücksichtigung (im Ursprungsentscheid) erfüllt, erfolgt auf der zweiten Stufe die Aktualisierung der einzelnen Parameter und Neuberechnung des Unterhaltsbeitrages (Staub, a.a.O., N 257 ff.). Die Beweislast für das Vorliegen veränderter, im Ursprungsentscheid relevanter Verhältnisse trägt jene Partei, die sich auf einen Abänderungsgrund beruft und daraus Rechte ableitet (Art. 8 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs [ZGB; SR 210]). Die sich auf einen Abänderungsgrund berufende Partei hat nicht nur den aktuellen Zustand (Ist-Zustand) zu beweisen, sondern die Abweichung des Ist-Zustandes vom Soll-Zustand. Nötigenfalls ist der Soll-Zustand anhand der Prozessakten des Ursprungsverfahrens nachzuweisen. Für die erste Stufe (Prüfung, ob die Abänderungsvoraussetzungen überhaupt gegeben sind) ist jedoch einzig die bei einer betroffenen Person eingetretene Veränderung zu beweisen; erst wenn diese bewiesen ist, stellt sich auf der zweiten Stufe (bei der Aktualisierung) die Frage, ob sich auch noch andere Faktoren verändert haben (Staub, a.a.O., N 273 ff.). Die Frage, ob eine Veränderung wesentlich oder erheblich bzw. von Dauer ist, ist eine Rechtsfrage. Insofern spielt die Verteilung der Beweislast − sofern das Mass der Veränderung als solche bewiesen ist − keine Rolle (Staub, a.a.O., N 292 und 298). Das Abänderungsgericht ist grundsätzlich an die Wertungen im Ursprungsentscheid gebunden (Staub, a.a.O., N 354 mit Hinw. auf weitere Literatur). Die Lebenshaltung, welche bei der ursprünglichen Bemessung des Unterhaltsbeitrages berücksichtigt wurde, bleibt massgebend; sie ist nicht etwa neu zu beurteilen (Gloor/Spycher, in Basler Komm. Band I, 7. Aufl. 2022, Art. 129 ZGB N 6). Hat das Abänderungsgericht die Voraussetzungen einer Abänderung bejaht (erste Stufe) und die Massnahmen des Ursprungsentscheids gestützt auf die aktualisierten Parameter angepasst (zweite Stufe), hat es auf der dritten (und letzten) Stufe im Sinne einer Schlusskontrolle die ursprünglichen den angepassten Massnahmen gegenüberzustellen und im Sinne einer Gesamtbetrachtung zu prüfen, ob die Abweichung ein Mass annimmt, das eine Abänderung rechtfertigt. Es ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (Staub, a.a.O. N 409 mit Hinw. auf BGer-Urteil 5A_506/2011 vom 4.1.2012 E. 4.1). Wenn nach Aktualisierung sämtlicher Parameter nach wie vor ein Ungleichgewicht resultiert, dieses aber für alle betroffenen Personen hinnehmbar, mithin für keine Person unzumutbar ist, hat eine Abänderung zu unterbleiben. Wie bereits die Festsetzung der Unterhaltsbeiträge im Ursprungsentscheid bleibt auch deren Festsetzung im Abänderungsentscheid letztlich – trotz des Gebundenseins an Wertungen – ein Ermessensentscheid. Unter diesem Aspekt ist bei der Abänderung von Unterhaltsbeiträgen generell Zurückhaltung zu üben. Mögliche Kriterien für die Interessenabwägung bei Unterhaltsangelegenheiten sind etwa eine verhältnismässig grosse Differenz zwischen ursprünglichem und aktualisiertem monatlichen Unterhaltsbeitrag oder eine verhältnismässig lange Dauer der Unterhaltsschuld (Staub, a.a.O., N 410 f.).