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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:4. Abteilung
Rechtsgebiet:Bau- und Planungsrecht
Entscheiddatum:22.11.2022
Fallnummer:7H 21 97
LGVE:2023 IV Nr. 5
Gesetzesartikel:Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 11 Abs. 1 NISV; § 202 Abs. 2 und 3 PBG.
Leitsatz:Mobilfunk; Publikationspflicht: Wird im Rahmen des Einspracheverfahrens im Standortdatenblatt ein neuer Ort mit empfindlicher Nutzung (OMEN) aufgenommen, der gemäss NISV aufgrund der Höhe der Belastung zwingend im Standortdatenblatt auszuweisen ist, handelt es sich um eine wesentliche Änderung des Standortdatenblatts (E. 5.2). § 202 Abs. 2 PBG ist sinngemäss auch für wesentliche Änderungen des Standortdatenblatts anwendbar, weshalb die Änderung erneut hätte publiziert werden müssen (E. 5.2.1). Aufgrund der schwere des formellen Mangels kann weder im Rechtsmittelverfahren eine Heilung erfolgen noch liegt ein Ausnahmetatbestand gemäss § 202 Abs. 3 PBG vor, der den Verzicht auf eine erneute Publikation erlaubt hätte (E. 5.2).
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:[Der Sachverhalt ist zusammen mit den restlichen Erwägungen im Internetentscheid 7H 21 97 publiziert.]

Aus den Erwägungen:

5.
5.1.
Gemäss § 193 Abs. 1 des Planungs- und Baugesetzes (PBG; SRL Nr. 735) ist das Baugesuch, wenn es den formellen Anforderungen entspricht, sofort öffentlich bekannt zu machen und zusammen mit den Beilagen öffentlich aufzulegen. Ist das Baubewilligungsverfahren mit weiteren Verfahren zu koordinieren, sorgt die Leitbehörde für eine gemeinsame öffentliche Auflage aller Gesuchsunterlagen.

5.1.1.
Nach Art. 11 Abs. 1 der Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV; SR 814.710) muss der Inhaber einer Anlage, für die Emissionsbegrenzungen gelten, der für die Bewilligung zuständigen Behörde ein Standortdatenblatt einreichen, bevor die Anlage neu erstellt, an einen anderen Standort verlegt, am bestehenden Standort ersetzt oder geändert wird. Gemäss Abs. 2 der genannten Bestimmung muss das Standortdatenblatt Folgendes enthalten: die aktuellen und geplanten technischen und betrieblichen Daten der Anlage, soweit sie für die Erzeugung von Strahlung massgebend sind (lit. a); den massgebenden Betriebszustand nach Anhang 1 (lit. b); Angaben über die von der Anlage erzeugte Strahlung an dem für Menschen zugänglichen Ort, an dem diese Strahlung am stärksten ist (lit. c Ziff. 1), an den drei Orten mit empfindlicher Nutzung, an denen diese Strahlung am stärksten ist (lit. c Ziff. 2) und an allen Orten mit empfindlicher Nutzung, an denen der Anlagegrenzwert nach Anhang 1 überschritten ist (lit. c Ziff. 3); einen Situationsplan, der die Angaben nach lit. c darstellt (lit. d).

5.1.2.
Der Baugesuchsteller ist grundsätzlich verpflichtet, sein Bauprojekt in der geplanten, definitiven Form im Baugesuch darzustellen. In der Praxis entstehen nicht selten Projektänderungswünsche seitens der Bauherrschaft, oder es werden entsprechende Begehren seitens von Einsprechern gestellt. Dies kann Abweichungen von den eingereichten oder bereits bewilligten Bauplänen zur Folge haben, und es sind entsprechend abgeänderte Pläne einzureichen. Für jede Abweichung von den genehmigten Plänen ist das Baubewilligungsverfahren erneut durchzuführen, sofern die Abweichung als solche der Bewilligungspflicht untersteht (§ 202 Abs. 2 Satz 1 PBG). Abweichungen, die offensichtlich keine schutzwürdigen privaten Interessen Dritter und keine wesentlichen öffentlichen Interessen berühren, kann die zuständige Stelle der Gemeinde von sich aus gestatten (§ 202 Abs. 3 PBG). Obwohl § 202 PBG ausdrücklich von den "genehmigten" Plänen spricht, gilt auch für Planänderungen, welche nach einer öffentlichen Auflage, aber vor Erteilung einer Baubewilligung eingereicht werden, dass lediglich dann eine erneute Auflage und Bekanntgabe durchzuführen ist, wenn die Projektänderung selbst bewilligungspflichtig ist. Geringfügige Änderungen machen nicht zwingend eine Wiederholung der öffentlichen Auflage und Bekanntgabe an die betroffenen Grundeigentümer notwendig (vgl. § 54 Abs. 1 der Planungs- und Bauverordnung [PBV; SRL Nr. 736] und § 202 Abs. 3 PBG; Urteile des Kantonsgerichts Luzern 7H 21 61 vom 11.7.2022 E. 5.1.3, 7H 15 14 vom 3.9.2015 E. 3.2 mit Hinweisen; Berner, Luzerner Planungs- und Baurecht, Bern 2012, N 1055). Zwar handelt es sich bei den Standortdatenblättern nicht um Pläne im klassischen Sinn, doch geben sie die für die Anlage verbindlichen und massgebenden Betriebsparameter wieder und sind somit für die beabsichtigte Nutzung der Anlage von entscheidender Bedeutung. Es handelt sich im Übrigen um für die Beurteilung der Mobilfunkanlagen gemäss NISV notwendige Beilagen zum Baugesuch, weshalb es sich rechtfertigt, bei deren Änderung § 202 Abs. 2 PBG analog anzuwenden.

5.1.3.
Das Bundesgericht hat bisher vereinzelt eine nachträgliche Korrektur des Standortdatenblatts selbst im Rechtsmittelverfahren, ja sogar noch im Verfahren vor Bundesgericht zugelassen; dies indes nur, soweit es sich um Änderungen von untergeordneter Bedeutung handelte und alle Beteiligten dazu Stellung nehmen konnten (vgl. BGer-Urteil 1C_405/2011 vom 24.4.2012 E. 2.3 mit Hinweis auf BGer-Urteil 1C_478/2008 vom 28.8.2009).

5.2.
Vorliegend wurde mit der Anpassung des Standortdatenblattes in der "Revision 1.15" ein zusätzlicher OMEN aufgeführt, bei dem es sich wie erwähnt um den am zweitstärksten strahlungsbelasteten Standort handelt. Dieser OMEN war im früheren, öffentlich aufgelegten Standortdatenblatt nicht aufgeführt, obwohl dies gemäss Art. 11 Abs. 2 lit. c Ziff. 2 NISV zwingend hätte der Fall sein müssen. Daran ändert nichts, dass die übrigen Änderungen im Vergleich zur früheren Version an vier der bisher aufgeführten OMEN zu einer geringeren Strahlung und an einem OMEN zu einer unveränderten Strahlung geführt haben.

Das durch Auflage publizierte Standortdatenblatt war somit unvollständig und enthielt nicht alle gesetzlich vorgeschriebenen Angaben, weshalb nicht von einer Änderung von lediglich untergeordneter Bedeutung gesprochen werden kann. Dies erhellt auch mit Blick darauf, dass das von der Vollzugsbehörde als NIS-konform beurteilte Standortdatenblatt die Grundlage für die Kontrolle der Einhaltung der Emissionsbegrenzungen bildet (vgl. Wagner Pfeifer, Umweltrecht Allgemeine Grundlagen, Zürich/St. Gallen 2017, S. 227 N 591). Das im Auflageverfahren publizierte Standortdatenblatt entsprach den Vorgaben der NISV nicht, weil die drei höchstbelasteten OMEN nicht korrekt abgebildet waren, womit die Voraussetzungen für eine korrekte Beurteilung der Anlage im Auflageverfahren fehlten. Dieser Mangel wirkte sich auch auf die Interessen Dritter, namentlich auf die Bewohner der betroffenen Liegenschaft an der F.________strasse wie auch auf deren Eigentümerschaft, aus. Diese wurden durch die öffentliche Auflage des Baugesuchs nicht in die Lage versetzt, den Entscheid, ob sie gegen die Mobilfunkanlage Einsprache erheben wollen, in Kenntnis aller dafür relevanten Tatsachen zu fällen. Es ist notorisch, dass für die Beurteilung, ob gegen eine Mobilfunkanlage ein Rechtsmittel ergriffen wird, die Höhe der Strahlenbelastung von entscheidender Bedeutung ist, was mit ein Grund ist, weshalb die drei am stärksten belastetsten OMEN im Standortdatenblatt zwingend auszuweisen sind. Die Bewohner der Liegenschaft an der F.________strasse wurden im Auflageverfahren insofern getäuscht, als sie aufgrund der unrichtigen bzw. unvollständigen Angaben im aufgelegten Standortdatenblatt davon ausgehen konnten, ihr Wohnort gehöre nicht zu den Orten, an denen sich die Strahlung der geplanten Mobilfunkantenne am stärksten auswirken würde bzw. dieser werde jedenfalls geringer belastet, als die fünf im Standortdatenblatt "Revision 1.9" ausgewiesenen OMEN. In Bezug auf die Eigentümerschaft ergibt sich ihre Betroffenheit durch ihre dingliche Berechtigung an der Liegenschaft als Vermögenswert. Nebst den privaten Interessen dieser Betroffenen – denen die Anpassung des Standortdatenblatts bis heute nicht bekannt gemacht worden ist – ist überdies das öffentliche Interesse an einem rechtskonform durchgeführten Baubewilligungsverfahren tangiert. Die Abweichungen im angepassten Standortdatenblatt lassen im Sinn von § 202 Abs. 2 PBG eine Neudurchführung des Baubewilligungsverfahrens als zwingend erscheinen, nachdem die Voraussetzungen für eine Ausnahme gemäss Abs. 3 der Bestimmung aufgrund der betroffenen privaten und öffentlichen Interessen nicht gegeben sind.

Aufgrund der Schwere des formellen Mangels, nämlich des mit falschen Tatsachen zur geplanten Mobilfunkanlage erfolgten Auflageverfahrens und damit im Ergebnis des gesamten Baubewilligungsverfahrens, ist eine Heilung dieses Verfahrensmangels im vorliegenden Beschwerdeverfahren ausgeschlossen. Die Neuaufnahme des OMEN Nr. 7 in der "Revision 1.15" des Standortdatenblattes ist nicht von untergeordneter Bedeutung, weshalb auch mit Blick auf die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichts eine nachträgliche Korrektur des Standortdatenblattes im Rechtsmittelverfahren nicht möglich ist.

5.3.
Nachdem eine Neudurchführung des Baubewilligungsverfahrens bzw. eine erneute Auflage des Baugesuchs gemäss § 193 PBG bei dieser Sachlage zwingend ist, ist die Sache in Gutheissung des Eventualantrags der Beschwerdeführerin zur Durchführung eines erneuten Baubewilligungsverfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Ob auch die weiteren Anpassungen im Standortdatenblatt (Sendeleistungen in den einzelnen Frequenzbändern, elektrischer Neigungswinkel) Änderungen darstellen, die (für sich gesehen) zu einer Neuauflage des Baugesuchs hätten führen müssen, muss vor diesem Hintergrund nicht abschliessend geklärt werden.