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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:3. Abteilung
Rechtsgebiet:Invalidenversicherung
Entscheiddatum:04.10.2023
Fallnummer:5V 22 239
LGVE:2023 III Nr. 6
Gesetzesartikel:Art. 13 f. IVG, Art. 26 Abs. 1 IVG, Art. 26bis IVG, Art. 27 IVG, Art. 24 IVV, Art. 49 KVV.

Leitsatz:Für die Abrechnungsberechtigung einer Spitex-Organisation mit der Invalidenversicherung bzw. die entsprechende Zulassung als Leistungserbringerin ist ein Beitritt zum vom BSV abgeschlossenen Tarifvertrag (vgl. E. 4.2) und der damit verbundene Eintrag auf der Liste der abrechnungsberechtigten Organisationen nicht erforderlich. Es reicht aus, wenn die Personen und Stellen, die Eingliederungsmassnahmen durchführen, die in diesem Vertrag festgelegten Bedingungen als Mindestanforderungen erfüllen (E. 6).
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist noch nicht rechtskräftig.
Entscheid:
Sachverhalt (zusammengefasst)

A.
Die 2015 geborene und unter verschiedenen Geburtsgebrechen (GG) leidende A.________ bezieht unter anderem eine Hilflosenentschädigung der Invalidenversicherung (IV) wegen mittlerer Hilflosigkeit. Am 9. Juli 2021 (Posteingang) reichte die D.________AG der IV Luzern (IV-Stelle) eine Bedarfsmeldung bzw. ein Gesuch um Spitexleistungen für A.________ sowie diverse Unterlagen ein. Aus denen ging insbesondere hervor, dass die entsprechenden Leistungen durch die bei der D.________AG angestellte Mutter von A.________, B.________, dipl. Pflegefachfrau HF, erbracht wurden bzw. werden. Mit Vorbescheid vom 4. April 2022 kündigte die IV-Stelle die Ablehnung der beantragten Kostenübernahme für Spitexleistungen an, da die D.________AG nicht auf der massgeblichen Liste der abrechnungsberechtigten Organisationen aufgeführt sei. Nach der Erhebung von Einwänden gegen den Vorbescheid betreffend Kostenübernahme für Spitexleistungen durch die Mutter von A.________ bestätigte die IV-Stelle ihren Entscheid mit Verfügung vom 13. Juni 2022.

B.
Dagegen wurde seitens von A.________ Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben und beantragt, es sei die Verfügung der IV-Stelle vom 13. Juni 2022 aufzuheben sowie das Leistungsbegehren (Kostengutsprache für die Spitexleistungen der D.________AG) gutzuheissen. Die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, die von der D.________AG in Rechnung gestellten Pflegeleistungen gemäss dem Spitex-Tarif der Medizinaltarif-Kommission UVG (MTK) zu vergüten. Eventualiter sei die Angelegenheit im Sinn der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Die IV-Stelle beantragte vernehmlassend die Abweisung der Beschwerde.

Im Rahmen eines zweiten Schriftenwechsels hielten die Parteien an ihren Anträgen fest.

Aus den Erwägungen:

1.
Streitig und zu prüfen ist, ob die IV-Stelle zu Recht keine Kostengutsprache für Spitexleistungen der D.________AG gewährt hat, weil diese nicht auf der (auf der Website der MTK publizierten) Liste der abrechnungsberechtigten Organisationen aufgeführt sei.

2.
Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die IV (IVG; SR 831.20) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19.6.2020, AS 2021 705). Unter dem Vorbehalt besonderer übergangsrechtlicher Regelungen gilt in intertemporalrechtlicher Hinsicht für die Beurteilung der Frage, welches Recht bei einer Änderung der Rechtsgrundlagen Anwendung findet, der Grundsatz, dass diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des rechtlich zu ordnenden oder zu Rechtsfolgen führenden Tatbestands Geltung haben (BGE 146 V 364 E. 7.1 mit Hinweisen; vgl. zum zeitlich massgebenden Sachverhalt auch BGE 144 V 210 E. 4.3.1; 129 V 354 E. 1 mit Hinweisen). Zwar erging die hier angefochtene Verfügung erst nach dem 1. Januar 2022. Vorliegend steht indessen ein Anspruch auf medizinische Massnahmen zur Diskussion, der vor dem 1. Januar 2022 entstanden sein könnte. Demnach beurteilt sich die Streitigkeit nach der bis zum 31. Dezember 2021 geltenden Rechtslage, weshalb die Gesetzesbestimmungen nachfolgend – soweit nicht anders vermerkt – in der damals geltenden Fassung zitiert werden.

3.
3.1.
Gemäss Art. 13 Abs. 1 IVG haben Versicherte bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf die zur Behandlung von GG (Art. 3 Abs. 2 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG; SR 830.1]) notwendigen medizinischen Massnahmen. Der Bundesrat bezeichnet die Gebrechen, für welche diese Massnahmen gewährt werden. Er kann die Leistung ausschliessen, wenn das Gebrechen von geringfügiger Bedeutung ist (Art. 13 Abs. 2 IVG).

Als GG im Sinn von Art. 13 IVG gelten diejenigen, die bei vollendeter Geburt bestehen und in der Verordnung über GG (GgV; SR 831.232.21) aufgeführt sind (Art. 1 GgV). Als medizinische Massnahmen, die für die Behandlung eines GG notwendig sind, gelten sämtliche Vorkehren, die nach bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft angezeigt sind und den therapeutischen Erfolg in einfacher und zweckmässiger Weise anstreben (Art. 2 Abs. 3 GgV).

3.2.
Die medizinischen Massnahmen umfassen nach Art. 14 Abs. 1 IVG die Behandlung, die vom Arzt selbst oder auf seine Anordnung durch medizinische Hilfspersonen in Anstalts- oder Hauspflege vorgenommen wird, mit Ausnahme von logopädischen und psychomotorischen Therapien, sowie die Abgabe der vom Arzt verordneten Arzneien. Erfolgt die ärztliche Behandlung in einer Kranken- oder Kuranstalt, so hat der Versicherte überdies Anspruch auf Unterkunft und Verpflegung in der allgemeinen Abteilung (Abs. 2).

In der ab 1. Januar 2022 gültigen Fassung konkretisiert Art. 14 Abs. 1 IVG die Harmonisierung von IV und obligatorischer Krankenpflegeversicherung (vgl. BBl 2017 2651). Die Bestimmung zählt die Leistungen abschliessend auf und nennt unter anderem die Behandlungen und die dazugehörigen Untersuchungen, die ambulant oder stationär von Ärztinnen oder Ärzten durchgeführt werden oder von Personen, die auf Anordnung oder im Auftrag einer Ärztin oder eines Arztes Leistungen erbringen, oder medizinische Pflegeleistungen, die ambulant erbracht werden.

3.3.
Gemäss Art. 26 Abs. 1 IVG steht den Versicherten die Wahl unter den eidgenössisch diplomierten Ärzten, Zahnärzten und Apothekern frei. Analog zu diesem freien Arztwahlrecht statuiert Art. 26bis Abs. 1 IVG (in Kraft seit 1.1.1968, letztmals ohne Auswirkungen auf den vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt geändert per 1.1.2012) auch in Bezug auf medizinische Hilfspersonen ein freies Wahlrecht der Versicherten, doch ist dieses im weiteren Mass eingeschränkt als jenes. Einerseits steht das Recht der Versicherten auf freie Wahl der medizinischen Hilfspersonen (und anderer Leistungserbringer) unter dem Vorbehalt, dass diese "den kantonalen Vorschriften und den Anforderungen der Versicherung genügen" (Art. 26bis Abs. 1 letzter Halbsatz IVG). Anderseits ist der Bundesrat gestützt auf die ihm in Art. 26bis Abs. 2 IVG eingeräumte Delegationskompetenz befugt, Vorschriften über die Zulassung von medizinischen Hilfspersonen (und von anderen Leistungserbringern) zu erlassen.

In Bezug auf die medizinischen Hilfspersonen hat der Bundesrat von dieser Befugnis (abgesehen von vorliegend nicht interessierenden Ausnahmen) keinen Gebrauch gemacht, weshalb der Vorbehalt der bundesrechtlichen Zulassungsvorschriften gemäss Art. 26bis Abs. 2 IVG in diesem Leistungsbereich nicht zum Zug kommt (vgl. BVGer-Urteil A-57/2017 vom 22.11.2017 E.7.3; Meyer/Reichmuth, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG, 4. Aufl. 2022, Art. 26bis N 3).

4.
4.1.
Art. 27 Abs. 1 IVG ermächtigt den Bundesrat, mit der Ärzteschaft, den Berufsverbänden der Medizinalpersonen und der medizinischen Hilfspersonen sowie den Anstalten und Werkstätten, die Eingliederungsmassnahmen durchführen, Verträge zu schliessen, um die Zusammenarbeit mit den Organen der Versicherung zu regeln und die Tarife festzulegen. Der Bundesrat hat diese Kompetenz sowie diejenige zur Festsetzung von Höchstbeträgen für die Kostenübernahme für die von der IV ganz oder teilweise finanzierten Hilfsmittel und damit zusammenhängende Dienstleistungen seinerseits an das BSV delegiert (Art. 24 Abs. 2 mit dem hier nicht interessierenden Vorbehalt von Art. 41 Abs.1 Bst. l der Verordnung über die Invalidenversicherung [IVV; SR 831.201]).

Im Rahmen der WEIV wurde der Bundesrat damit beauftragt, für die Koordination mit den Tarifordnungen der anderen Sozialversicherungen zu sorgen (Art. 27 Abs. 2 Satz 2 IVG, wie die nachfolgend in diesem Absatz genannten Bestimmungen in der ab 1.1.2022 gültigen Fassung des IVG bzw. der IVV). Die entsprechenden Grundsätze hat er in Art. 24bis bis 24quinquies IVV geregelt. Nach Art. 27 Abs. 1 IVG ist neu nicht mehr der Bundesrat, sondern das BSV befugt, mit der Ärzteschaft, den Berufsverbänden der Medizinalpersonen und der medizinischen Hilfspersonen (und anderen Leistungserbringern) Verträge zu schliessen, um wie erwähnt die Zusammenarbeit mit den Organen der Versicherung und die Tarife zu regeln.

Der Bundesrat hat ausserdem in Art. 24 Abs. 3 IVV statuiert, dass die vertraglich festgelegten Bedingungen für Personen (und Stellen), die Eingliederungsmassnahmen durchführen, ohne einem bestehenden Vertrag beizutreten, als Mindestanforderung der Versicherung im Sinn von Art. 26bis Abs. 1 IVG gelten. Mit dieser Bestimmung hat der Bundesrat die "Anforderungen der Versicherung" im Sinn von Art. 26bis Abs. 1 IVG näher ausgeführt. Das in Art. 26bis Abs. 1 IVG hinsichtlich der medizinischen Hilfspersonen (und anderer Leistungserbringer) statuierte freie Wahlrecht der Versicherten steht somit unter dem zusätzlichen Vorbehalt der in einem Vertrag festgelegten Anforderungen. Diese gelten für alle Personen (und Stellen), welche Eingliederungsmassnahmen – oder nach dem eben Angeführten und gestützt auf Art. 8 Abs. 2 i.V.m. Art. 13 IVG medizinische Massnahmen zur Behandlung von GG – durchführen, gleichgültig, ob sie dem Vertrag beigetreten sind oder nicht (Urteil des damaligen Eidgenössischen Versicherungsgerichts [EVG] I 187/00 vom 14.9.2000 E. 2c; vgl. auch IV-Rundschreiben Nr. 384 vom 9.1.2019, in Kraft vom 1.1.2019 bis zum 31.12.2022 [vgl. IV-Rundschreiben Nr. 421]).

4.2.
Das BSV hat (für die IV) mit dem Verband Spitex Schweiz, dem Verband Association Spitex privée Suisse (ASPS), der MTK und mit der Militärversicherung einen Tarifvertrag geschlossen (in Kraft seit 1.1.2019; abrufbar unter: https://www.mtk-ctm.ch/fileadmin/user_upload/tarife/SPITEX-Tarif/01_deutsch/Tarifvertrag_SPITEX_final_180501.pdf, besucht am 2.8.2023). Dieser regelt die Abgeltung von ambulanten Pflegeleistungen (Spitexleistungen) an Personen, die im Sinn des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (UVG; SR 832.20), des IVG oder des Bundesgesetzes über die Militärversicherung (MVG; SR 833.1) versichert sind. Er enthält insbesondere Bestimmungen zur Qualifikation der Pflegefachpersonen (Art. 2 Tarifvertrag), zur Vertragsorganisation inklusive der Bedingungen für die Abrechnung mit den Versicherern (Art. 3 Tarifvertrag) sowie zum Beitritt zum Tarifvertrag (Art. 4 Tarifvertrag). Die Spitexverbände haben den Tarifvertrag zwischenzeitlich auf den 31.Dezember 2023 gekündigt. Kommt innerhalb der Kündigungsfrist (bis zum 31.12.2023) keine Einigung zustande, bleibt er bis zum Zustandekommen eines neuen Vertrags in Kraft, jedoch höchstens für die Dauer von weiteren zwölf Monaten (Mitteilung der MTK vom 19.7.2023, abrufbar unter: https://www.mtk-ctm.ch/de/detail/spitex-tarif/, besucht am 2.8.2023).

5.
5.1.
Die IV-Stelle hat die Ablehnung einer Kostengutsprache für durch die D.________AG erbrachte Spitexleistungen in der angefochtenen Verfügung damit begründet, jene sei auf der Liste der MTK der abrechnungsberechtigten Organisationen nicht aufgeführt. Sie sei deshalb gemäss Tarifvertrag keine anerkannte Spitex-Organisation und ihre Leistungen könnten der IV nicht in Rechnung gestellt werden.

5.2.
Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber geltend, bei der D.________AG handle es sich um eine zugelassene Leistungserbringerin für sozialversicherte Pflegeleistungen im Sinn von Art. 49 der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV; SR 832.102). Nachdem das Bundesgericht mit Urteil 8C_621/2021 vom 18. Mai 2022 (= BGE 148 V 311) festgestellt habe, dass die Boykottklausel des Spitex-Tarifs den zugelassenen Leistungserbringern, die nicht Mitglied der vertragsschliessenden Verbände seien, nicht entgegengehalten werden könne, sei davon auch im vorliegenden Fall auszugehen. Die IV-Stelle sei deshalb verpflichtet, auf das Leistungsgesuch einzutreten und die von der D.________AG erbrachten Pflegedienstleistungen anhand des Spitex-Tarifs zu vergüten. Die Versicherte rügt ausserdem vorsorglich, der Ausschluss der Leistungspflicht für geburtsgebrechensbedingt notwendige Grundpflegeleistungen sei gesetzeswidrig. Gemäss Art. 13 IVG hätten versicherte Personen, bei denen ein anerkanntes GG vorliege, Anspruch auf die medizinischen Massnahmen, die zur Behandlung des fraglichen GG notwendig seien. Es sei den versicherten Personen zudem nicht zumutbar, die geburtsgebrechensbedingt notwendigen Grundpflegeleistungen gegenüber dem obligatorischen Krankenpflegeversicherer einzufordern. Die Beschwerdeführerin ersucht das Gericht ausserdem darum, sich nicht nur hinsichtlich der grundsätzlich bestehenden Leistungspflicht zu äussern, sondern auch den Umfang der Leistungspflicht und eventuell die Modalitäten der Leistungsabrechnung (vorfrageweise) im Urteil festzuhalten. Es sei weder der Versicherten noch der zugelassenen Leistungserbringerin zumutbar, gegebenenfalls in einem weiteren Gerichtsverfahren mit der IV-Stelle über die Höhe der Entschädigung bzw. über die Modalitäten der Leistungsabrechnung streiten zu müssen.

5.3.
Die Verwaltung hält vernehmlassend dagegen, der versicherten Person stehe in der IV insbesondere die Wahl der medizinischen Hilfspersonen frei, wenn diese den kantonalen Vorschriften und den Anforderungen der Versicherung genügten. Die D.________AG sei indessen auf der Liste der abrechnungsberechtigten Organisationen unbestrittenermassen nicht aufgeführt, weshalb eine Kostenübernahme zu verneinen sei. Die in Art. 26bis IVG statuierte Wahlfreiheit werde durch den gestützt auf Art. 27 Abs. 1 IVG i.V.m. Art. 24 Abs. 2 IVV abgeschlossenen Spitex-Tarifvertrag dahingehend eingeschränkt, dass als Mindestanforderung für die Abrechnung mit der IV ein Eintrag auf der entsprechenden Liste vorausgesetzt werde. Die IV-Stelle weist zudem darauf hin, auch Nichtmitglieder (der Spitex-Verbände) könnten dem Spitex-Vertrag beitreten, wenn sie die Zulassungsbedingungen erfüllten. Dadurch würden auch sie auf der Liste der abrechnungsberechtigten Organisationen aufgeführt. Die Wahlfreiheit werde dadurch nicht relevant eingeschränkt. Es liege auch keine im Vergleich zu BGE 148 V 311 identische Situation vor, wo die versicherte Person überhaupt keine Wahl gehabt habe, weil dort keine der dem Spitex-Tarifvertrag beigetretenen Spitex-Organisationen über die erforderlichen Kapazitäten verfügt habe. Das Bundesgericht habe festgestellt, das Auswahlermessen des Versicherers könne nur dann ausgeübt werden, wenn im konkreten Einzelfall überhaupt zugelassene und dem Spitex-Vertrag unterstehende Vertragsorganisationen zur Wahl stünden. Es gehe aus dem erwähnten Urteil somit nicht hervor, dass die Regelung der Mindestanforderung grundsätzlich nicht zulässig sei. Es werde vorliegend zu Recht nicht geltend gemacht, es habe keine Wahl unter den Abrechnungsberechtigten bestanden. Mit Blick auf die fehlende Leistungspflicht erübrigten sich weitere Ausführungen zum Umfang einer solchen, der bislang ohnehin noch nicht konkret abgeklärt und festgelegt worden sei. Es könne aber bereits jetzt darauf hingewiesen werden, dass weisungsgemäss ohnehin eine abschliessende Liste mit denjenigen Leistungen bestehe, die als medizinische Massnahmen von der IV übernommen würden. Dabei seien auch die Leistungen der Spitex-Organisation vom freiwilligen Elternanteil im Rahmen ihrer Kapazitäten und Fähigkeiten zu unterscheiden.

5.4.
Mit Replik hält die Beschwerdeführerin ergänzend fest, aus der Tariffreiheit gemäss Art. 27 IVG könne nicht abgeleitet werden, dass es den Vertragsparteien gestattet wäre, eine "Boykottklausel" zulasten von zugelassenen Leistungserbringern vorzusehen, die einer bestimmten Leistungsvereinbarung nicht beigetreten seien. Des Weiteren verweist sie auf den Umstand, wonach die D.________AG Mitglied des E.________ sei. Dieser habe mit der MTK bis anhin noch keinen Administrativ- bzw. Tarifvertrag vereinbaren können. Es sei deshalb unzulässig, mit anderen Spitex-Verbänden abgeschlossene vertragliche Vereinbarungen anzuwenden. Dies verbiete sich auch im Hinblick auf die verfassungsmässig geschützte Koalitionsfreiheit. Überdies weist die Versicherte darauf hin, ihre Mutter habe keine Möglichkeit, sich bei einer anderen Spitex-Organisation anstellen zu lassen, weil die Anstellung pflegender Angehöriger nur solchen erlaubt sei, die nicht den Administrativ- und Tarifverträgen, die von den vorgenannten beiden Spitex-Verbänden abgeschlossen worden seien, beigetreten seien. Die fraglichen Administrativ- bzw. Tarifverträge würden vorsehen, dass eine Anstellung von Personen, die nicht über ein Pflegefachdiplom verfügten, nur möglich sei, wenn diese einen Fähigkeitsausweis des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) besässen.

5.5.
Die IV-Stelle verweist in ihrer Duplik auf das bisher Ausgeführte und verzichtet auf eine weitergehende Stellungnahme.

6.
6.1.
Zwischen den Parteien ist nicht bestritten, dass die Versicherte unter GG leidet, die in der GgV aufgeführt sind und einen Anspruch auf medizinische Massnahmen gemäss Art. 14 IVG begründen. Ebenfalls unbestritten ist, dass die D.________AG, bei der es sich laut Beschwerdeführerin um eine auch im Kanton Luzern anerkannte Pflegeleistungserbringerin handle, nicht auf der Liste der abrechnungsberechtigten Organisationen der MTK aufgeführt ist, was gemäss Art. 3 Abs. 4 des Tarifvertrags Voraussetzung für die Abrechnung mit den Versicherern sei. Unter Hinweis auf BGE 148 V 311 macht die Versicherte geltend, das Fehlen auf der vorerwähnten Liste könne ihr nicht als Grund für die Leistungsverweigerung entgegengehalten werden. Damit moniert sie sinngemäss eine Verletzung ihres aus Art. 26bis Abs. 1 IVG fliessenden Rechts, frei unter den medizinischen Hilfspersonen und anderer Leistungserbringern wählen zu können.

6.2.
Soweit die Beschwerdeführerin den Standpunkt vertritt, mit BGE 148 V 311 sei über eine mit der vorliegend zu beurteilenden identische Situation entschieden worden, kann ihr nicht gefolgt werden. Das Bundesgericht hat mit besagtem Entscheid festgehalten, das mit Art. 56 Abs. 1 Satz 2 UVG grundsätzlich eingeräumte Auswahlermessen des Unfallversicherers könne jedenfalls dann nicht zum Tragen kommen, wenn die versicherte Person ihrerseits insofern kein Wahlrecht nach Art. 10 Abs. 2 UVG besitze, als eine Leistungserbringung durch eine andere zugelassene Organisation, die zusätzlich dem Spitex-Tarifvertrag beigetreten sei, nicht gewährleistet werden könne. Das Auswahlermessen des Unfallversicherers nach Art. 56 Abs. 1 Satz 2 UVG könne nur dann ausgeübt werden, wenn im konkreten Einzelfall überhaupt zugelassene Vertragsorganisationen zur Wahl stünden (BGE 148 V 311 E. 6.4). Abgesehen davon, dass im IVG eine Art. 56 Abs. 1 UVG entsprechende Bestimmung fehlt, wird hier weder geltend gemacht noch ist ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin keine andere abrechnungsberechtigte Leistungserbringerin, die auch dem Tarifvertrag beigetreten ist, berücksichtigen könnte. Nachfolgend ist deshalb zu prüfen, ob trotz Fehlens eines gesetzlichen Auswahlermessens der IV die grundsätzlich freie Wahl der medizinischen Hilfsperson oder eines anderen Leistungserbringers durch die versicherte Person tarifvertraglich eingeschränkt werden kann.

6.3.
6.3.1.
Das freie Wahlrecht der Versicherten hinsichtlich der medizinischen Hilfspersonen (und anderer Stellen) ist in Art. 26bis Abs. 1 IVG gesetzlich statuiert. Es steht allerdings wie erwähnt unter dem Vorbehalt, dass die Hilfspersonen den kantonalen Vorschriften (z.B. über die Ausbildung und Berufsausübung) und den Anforderungen der Versicherung genügen. Diese Einschränkung drängte sich gemäss Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf eines Bundesgesetzes betreffend Änderung des Bundesgesetzes über die IV (vom 27.2.1967) als Gegengewicht zum Verzicht auf ein förmliches Zulassungsverfahren auf (BBl 1967 680). Im Bereich der ambulanten Pflege bestehen keine solchen Zulassungsvorschriften, die sich auf Art. 26bis Abs. 2 IVG stützten (vgl. Meyer/Reichmuth, a.a.O., Art. 26bis N 3). Demgegenüber schloss das BSV mit den Spitexverbänden einen Tarifvertrag ab, wozu es gestützt auf die (Sub-)Delegation in Art. 27 Abs. 1 IVG i.V.m. Art. 24 Abs. 2 IVV befugt war. Aufgrund von Art. 24 Abs. 3 IVV gelten die darin festgelegten beruflichen Bedingungen als Mindestanforderungen der IV im Sinn von Art. 26bis Abs. 1 IVG für die Personen und Stellen, die dem vom BSV abgeschlossenen Vertrag nicht beitreten. Die in diesem Vertrag festgesetzten Tarife gelten als Höchstansätze im Sinn der Art. 21quater Abs. 1 Bst. c und Art. 27 Abs. 3 IVG.

6.3.2.
Der Wortlaut von Art. 24 Abs. 3 IVV ("[…] ohne einem bestehenden gesamtschweizerischen, durch das BSV abgeschlossenen Vertrag beizutreten […]") macht deutlich, dass ein Beitritt zum Vertrag nicht Voraussetzung ist, um von einer versicherten Person als Leistungserbringer gewählt werden zu können. Diese Wahlmöglichkeit würde aber ausgehebelt, wenn im Tarifvertrag ein Beitritt zur Bedingung für eine Entschädigung durch den Versicherer erhoben würde, weshalb die entsprechende Bestimmung des Tarifvertrags nicht mit der übergeordneten bundesrätlichen Verordnung zu vereinbaren ist. Darin läge gleichzeitig eine Überschreitung der dem BSV übertragenen Kompetenz zum Abschluss von Tarifverträgen, weil eine entsprechende Anordnung im Ergebnis eine Vorschrift für die Zulassung im Sinn von Art. 26bis Abs. 2 IVG bedeutete. Der Erlass solcher Vorschriften ist dem Bundesrat vorbehalten, der diese Kompetenz mit Bundesratsbeschluss (BRB) vom 15. Januar 1968 (AS 1968 43) wiederum dem Departement (Eidgenössisches Departement des Innern [EDI; so ausdrücklich in der ab 1.1.2022 geltenden Fassung]), nicht aber dem BSV, übertragen hat (Art. 24 Abs. 1 Satz 1 IVV; vgl. dazu auch BBl 1967 680).

6.3.3.
Des Weiteren kann Art. 24 Abs. 3 IVV trotz erfolgter Delegation an das BSV zum Abschluss von Tarifverträgen nicht so verstanden werden, dass sämtliche in einem Tarifvertrag "festgelegten Bedingungen" als Mindestanforderungen der IV im Sinn von Art. 26bis Abs. 1 IVG gelten, wovon indessen das BSV und die IV-Stelle auszugehen scheinen. Aus der hier anwendbaren, bis zum 31. Dezember 2021 gültigen Fassung von Art. 24 Abs. 3 IVV geht explizit hervor, dass als Mindestanforderungen die vertraglich festgelegten beruflichen Bedingungen gemeint sind. Die Verwaltung und deren Aufsichtsbehörde beziehen sich offensichtlich auf den ab 1. Januar 2022 geltenden Wortlaut der Bestimmung, der allgemein von den festgelegten Bedingungen spricht, während dem erläuternden Bericht zu den Ausführungsbestimmungen zur WEIV vom 4. Dezember 2020 (abrufbar unter https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/64246.pdf, besucht am 2.8.2023) zu entnehmen ist, dass lediglich zur Vermeidung von Problemen im Hilfsmittelbereich auf die Bezeichnung "beruflichen" verzichtet werde, weil daneben auch infrastrukturelle, qualitative und monetäre Bedingungen gemeint seien (vgl. S. 35 des Berichts). Der Abschluss des Tarifvertrags hat deshalb selbst unter Geltung der neuen Fassung von Art. 24 Abs. 3 IVV insofern keine Einschränkung des Wahlrechts der Beschwerdeführerin zur Folge, als nur der Umfang der Kostenübernahme durch die IV eingeschränkt wird, sofern die vertraglich festgelegten beruflichen Qualifikationen erfüllt werden. Ausschliesslich der Umfang der Kostenübernahme wird insofern beschränkt, als die darin festgelegten Tarife als Höchstansätze gelten. Es steht der Versicherten deshalb zu, die D.________AG als Leistungserbringerin zu wählen. Der Umstand allein, dass diese nicht auf der Liste der abrechnungsberechtigten Organisationen eingetragen ist, kann somit nicht als Grund für eine Verweigerung der Kostengutsprache angeführt werden, weil es sich dabei nicht um ein berufliches Merkmal handelt und es dem BSV für weitergehende Vorschriften an einer entsprechenden Regelungskompetenz fehlt.

6.3.4.
Nichts anderes ergibt sich aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Lediglich das damalige EVG hat mit Urteil vom 11. August 1987 i.S. O.B. (ZAK 1988 S. 88 ff.) die Verweigerung der Kostenerstattung für orthopädische Massschuhe durch die Verwaltung zwar mit der Begründung bestätigt, das Schuhwerk sei nicht von einem eidgenössisch diplomierten Orthopädie-Schuhmachermeister hergestellt worden, der auch nicht im Verbandsverzeichnis figuriert habe. Damit habe er die massgeblichen beruflichen Mindestanforderungen, die das BSV mit dem Schuhmacher- und Orthopädie-Schuhmachermeister-Verband vereinbart habe, nicht erfüllt (vgl. dortige E. 2 und 3). Ob das EVG die verweigerte Kostenerstattung aber auch dann bestätigt hätte, wenn der vom Versicherten gewählte Schuhmacher zwar über ein eidgenössisches Diplom, nicht aber über einen Eintrag im Verbandsverzeichnis verfügt hätte, geht aus dem Entscheid nicht hervor. Demgegenüber hat das Bundesgericht jüngst mit Urteil 9C_594/2020 vom 15. September 2021 entschieden, die Erstattung der Kosten für ein Hörtraining bei einer Logopädin sei grundsätzlich möglich, auch wenn diese von der Association Romande des Enseignantes en Lecture Labiale (ARELL; mit dieser hat das BSV eine Tarifvereinbarung abgeschlossen [abrufbar unter https://sozialversicherungen.admin.ch/de/d/6886/download, besucht am 2.8.2023]) als Lehrperson nicht anerkannt sei (so auch Meyer/Reichmuth, a.a.O., Art. 27quater N 3 mit Hinweis auf das soeben zitierte Bundesgerichtsurteil).

6.4.
Nach dem Gesagten kann festgehalten werden, dass die D.________AG als abrechnungsberechtigte Organisation bzw. als zugelassene Leistungserbringerin zu akzeptieren ist, auch wenn sie dem Tarifvertrag nicht beigetreten bzw. auf der entsprechenden Liste gemäss Tarifvertrag nicht aufgeführt ist.

Soweit die Beschwerdeführerin beantragt hat, es sei das Leistungsbegehren in Aufhebung der angefochtenen Verfügung gutzuheissen und die IV-Stelle zu verpflichten, die von der D.________AG in Rechnung gestellten Pflegeleistungen gemäss Spitex-Tarif der MTK zu vergüten, ist mangels Abklärung der weiteren Anspruchsvoraussetzungen bis zum Verfügungszeitpunkt, insbesondere bezüglich des Umfangs des Bedarfs und dessen zeitlicher Notwendigkeit (vgl. dazu ebenfalls die Abklärung vom 30.9.2021 hinsichtlich des Anspruchs auf Hilflosenentschädigung sowie auf einen Intensivpflegezuschlag) festzustellen, dass die Sache noch nicht spruchreif ist. Zum weiteren Vorbringen der IV-Stelle bezüglich freiwilliger Leistungen der Eltern ist auf BGE 136 V 209 E. 7 und 124 V 317 hinzuweisen (vgl. auch Meyer/Reichmuth, a.a.O., Art. 26bis N 6).

7.
Zusammengefasst ergibt sich, dass der angefochtene Entscheid der gerichtlichen Überprüfung nicht standhält. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist entsprechend dem Eventualbegehren der Versicherten in dem Sinn gutzuheissen, dass der angefochtene Entscheid aufgehoben und die Sache gemäss den Erwägungen zur Prüfung der weiteren Anspruchsvoraussetzungen und zur Berechnung der Höhe der Kostenvergütung an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen ist. Weshalb es der Beschwerdeführerin nicht zumutbar sein sollte, ihr allenfalls gegenüber dem obligatorischen Krankenpflegeversicherer zustehende Ansprüche bei diesem einzufordern oder gegebenenfalls in einem weiteren Gerichtsverfahren mit der IV-Stelle über die Höhe der Entschädigung bzw. die Modalitäten der Leistungsabrechnung streiten zu müssen, wird weder dargetan noch ist dies ersichtlich.

Bei diesem Verfahrensausgang kann auf eine – im Übrigen auch nicht beantragte – Beiladung der D.________AG verzichtet werden.