Drucken

Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:2. Abteilung
Rechtsgebiet:Strafvollzug
Entscheiddatum:17.11.2023
Fallnummer:4H 23 23
LGVE:2023 II Nr. 10
Gesetzesartikel:Art. 77b Abs. 1 StGB; Art. 1.3 Ziff. C der Richtlinie der Konkordatskonferenz des Strafvollzugskonkordats Nordwest- und Innerschweiz betreffend die besonderen Vollzugsformen.
Leitsatz:Zur Möglichkeit der Halbgefangenschaft bei rechtskräftiger Landesverweisung.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist noch nicht rechtskräftig.
Entscheid:Aus den Erwägungen:

3.3.
Umstritten ist, ob die gegen den Beschwerdeführer ausgesprochene obligatorische Landesverweisung den Vollzug der Freiheitsstrafe in Halbgefangenschaft ausschliesst. Die zeitlichen Voraussetzungen gemäss Art. 77b Abs. 1 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs (StGB; SR 311.0) sind mit Blick auf Gesetz und Akten zu Recht unbestritten und erfüllt. Die weiteren Voraussetzungen des Vollzugs der Freiheitsstrafe in Halbgefangenschaft wurden von der Vorinstanz weder im Entscheid noch in der Vernehmlassung beurteilt.

3.3.1.
Seit dem Inkrafttreten des neuen Allgemeinen Teils des StGB am 1. Januar 2007 ist das System der Halbgefangenschaft in Art. 77b StGB bundesrechtlich geregelt. Die vom Gesetzgeber in dieser Norm für die Bewilligung der Halbgefangenschaft festgelegten Kriterien sind abschliessend. Den Kantonen bleibt kein Raum, um restriktivere Regelungen zu erlassen. Insbesondere dürfen kantonale oder interkantonale Bestimmungen die Gewährung der Halbgefangenschaft nicht davon abhängig machen, dass die verurteilte Person in der Schweiz über eine Aufenthaltsbewilligung verfügt. Eine solche Voraussetzung ergibt sich nicht aus Art. 77b StGB (BGE 145 IV 10 E. 2.3 f.).

Entsprechend ist es auch unzulässig, Personen, die zu einer obligatorischen oder nicht obligatorischen Landesverweisung verurteilt worden sind, generell von der Vollzugsform der Halbgefangenschaft auszuschliessen (vgl. Joset, in: StGB Annotierter Kommentar [Hrsg. Graf], Bern 2020, Art. 77b StGB N 7; a.A. Brägger/Zangger, Freiheitsentzug in der Schweiz, Bern 2020, N 816-819; Koller, Basler Kommentar, 4. Aufl. 2019, Art. 77b StGB N 11; Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich VB.2021.00613 vom 26.1.2022 E. 2.2). Die vorinstanzliche Argumentation, wonach die Landesverweisung die Vollzugsform der Halbgefangenschaft ausschliesse, da diese auf den Erhalt des sozialen Netzwerks in der Schweiz ausgerichtet sei, lässt sich mit Blick auf die zitierte bundesgerichtliche Rechtsprechung nicht halten. Würde man auf diesen Zweck abstellen, so wären entgegen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auch Personen ohne Aufenthaltsbewilligung von der Vollzugsform der Halbgefangenschaft auszunehmen. Dem hat das Bundesgericht jedoch eine Absage erteilt, womit dieses Kriterium auch bei Personen, die zu einer Landesverweisung verurteilt wurden, keinen tauglichen Grund für den Ausschluss von der Halbgefangenschaft darstellt.

Damit ist Art. 1.3 Ziff. C der Richtlinie der Konkordatskonferenz des Strafvollzugskonkordats der Nordwest- und Innerschweizer Kantone betreffend die besonderen Vollzugsformen (gemeinnützige Arbeit, elektronische Überwachung [electronic Monitoring, EM], Halbgefangenschaft) vom 24. März 2017 (SSED [systematische Sammlung der Erlasse und Dokumente] 12.0; nachfolgend Richtlinie betreffend die besonderen Vollzugsformen) bundesrechtswidrig und somit unbeachtlich (vgl. Art. 49 Abs. 1 der Bundesverfassung [BV; SR 101]), wenn er in lit. d und e verurteilte Personen ohne Aufenthaltsrecht in der Schweiz und solche, die rechtskräftig zu einer obligatorischen oder nicht obligatorischen Landesverweisung verurteilt wurden, generell von der Halbgefangenschaft ausschliesst.

Allein, hinsichtlich der obligatorischen Landesverweisung ist indes zu beachten, dass diese bei Eintreten der Rechtskraft zu einem Erlöschen der ausländerrechtlichen Bewilligung führt, womit auch die damit verknüpfte Arbeitsbewilligung entfällt (Art. 61 Abs. 1 lit. e i.V.m. Art. 11 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration [AIG; SR 142.20]; vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich VB.2021.00613 vom 26.1.2022 E. 2.2). Entsprechend scheidet bei einer obligatorischen Landesverweisung die Halbgefangenschaft zwecks Verfolgung einer Erwerbstätigkeit aus, da die verurteilte Person dafür über die notwendige Arbeitsbewilligung verfügen muss (vgl. Koller, a.a.O., Art. 77b StGB N 11; Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich VB.2021.00613 vom 26.1.2022 E. 2.2). Auch bei einer obligatorischen Landesverweisung steht die Halbgefangenschaft jedoch zwecks Ausbildung oder einer anderweitigen Beschäftigung (bspw. Haus- oder Erziehungsarbeit; vgl. zum Begriff der Beschäftigung Koller, a.a.O., Art. 77b StGB N 11) offen, da dafür keine Arbeitsbewilligung notwendig ist. Im Gegensatz zur obligatorischen Landesverweisung ist die Halbgefangenschaft bei einer nicht obligatorischen Landesverweisung sodann auch möglich, um einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, da die ausländerrechtliche Bewilligung bei nicht obligatorischer Landesverweisung erst mit dem Vollzug der nicht obligatorischen Landesverweisung erlischt (Art. 61 Abs. 1 lit. f AIG).

3.3.2.
Vorliegend ergibt sich aus der Verwaltungsgerichtsbeschwerde des Beschwerdeführers, seinem ursprünglichen Gesuch und aus den weiteren Akten, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der Halbgefangenschaft seine bisherige Arbeitsstelle als Personalberater bei der B.________AG in C.________ weiterführen möchte. Dafür fehlt es dem Beschwerdeführer seit der Rechtskraft der obligatorischen Landesverweisung jedoch an der notwendigen Arbeitsbewilligung. Entsprechend ist die vorinstanzliche Abweisung des Gesuchs um Vollzug in Form der Halbgefangenschaft im Ergebnis zutreffend und damit die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unbegründet.