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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Regierungsrat
Abteilung:-
Rechtsgebiet:Volksrechte
Entscheiddatum:02.02.2024
Fallnummer:RRE Nr. 117
LGVE:2024 VI Nr. 1
Gesetzesartikel:Art. 34 Abs. 1 BV, § 160 Abs. 1a StRG, § 35 FHGG
Leitsatz:Mit der Stimmrechtsbeschwerde kann die Rüge vorgebracht werden, der ausgabenrechtliche Grundsatz der Einheit der Materie werde dadurch verletzt, dass ein einziger, unteilbarer Gegenstand in unzulässiger Weise getrennt zur Abstimmung unterbreitet werde.

Die Ausgabenbewilligung darf sich nur dann auf mehrere Gegenstände beziehen, wenn die Ausgaben sich gegenseitig bedingen oder einem gemeinsamen Zweck dienen, der zwischen ihnen eine enge sachliche Verbindung schafft.

Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:An der Gemeindeversammlung der Gemeinde Z waren unter anderem das Budget 2024 sowie die Krediterteilung und der Ausgabenbeschluss für den Sonderkredit von brutto 935'000 Franken für den Ersatzneubau der Wasserleitung und für den Sonderkredit von brutto 860'000 Franken für den Erwerb und Aufbau eines Pavillons für die temporäre Auslagerung der Räumlichkeiten der Schulleitung und schulbegleitenden Dienste traktandiert. Diese wurden von den anwesenden Stimmberechtigten grossmehrheitlich genehmigt.
Dagegen erhob ein Stimmberechtigter beim Regierungsrat des Kantons Luzern Stimmrechtsbeschwerde. Er machte sinngemäss geltend, dass bei beiden Sonderkrediten der Grundsatz der Einheit der Materie gemäss § 35 des Gesetzes über den Finanzhaushalt der Gemeinden vom 20. Juni 2016 (FHGG, SRL Nr. 160) verletzt sei, da nicht sämtliche massgebenden Ausgaben zusammengefasst worden seien. Die korrekte Höhe der Sonderkredite würde die Kompetenz der Gemeindeversammlung überschreiten, weshalb sie der Stimmbevölkerung an der Urne hätten vorgelegt werden müssen.

Aus den Erwägungen:

1.
Gemäss § 160 Absatz 1a des Stimmrechtsgesetzes vom 25. Oktober 1988 (StRG, SRL Nr. 10) können mit der Stimmrechtsbeschwerde Verfahrensmängel und andere Unregelmässigkeiten bei der Vorbereitung und Durchführung von Abstimmungen gerügt werden. Anfechtungsobjekt der Stimmrechtsbeschwerde sind alle Beeinträchtigungen der politischen Rechte der Bürgerinnen und Bürger. Die Rügen der Verletzung der politischen Rechte sind verfassungsmässig gewährleistet (Art. 34 Abs. 1 BV; Hangarter/Kley/Braun Binder/Glaser, Die demokratischen Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Zürich, 2023, N 295 und N 302). (…)

2.
(…) Artikel 34 Absatz 1 der Bundesverfassung gewährleistet in allgemeiner Weise die politischen Rechte auf Ebene des Bundes, der Kantone und der Gemeinden (Urteil des Bundesgerichts 1C_391/2022 vom 3. Mai 2023 E. 3.2). Mit der Stimmrechtsbeschwerde können formelle Mängel bei Abstimmungen geltend gemacht werden. Unter anderem kann auch gerügt werden, eine Kreditvorlage sei unvollständig oder die Einheit der Materie werde dadurch verletzt, dass ein einziger, unteilbarer Gegenstand dem Referendum (beziehungsweise einer Abstimmung) in unzulässiger Weise in Etappen unterstellt werde (BGE 112 Ia 221 E. 1b S. 225). Die Rügen des Beschwerdeführers können somit mit Stimmrechtsbeschwerde vorgebracht werden.

(…)

5.
Es ist somit zu klären, ob es korrekt ist, dass die Gemeindeversammlung über die Ausga-ben beschlossen hat oder ob darüber an der Urne zu beschliessen gewesen wäre. Es ist folglich zu prüfen, ob die Höhe der Sonderkredite den gesetzlichen Vorgaben entspricht, was für die Bestimmung der Zuständigkeit für die Ausgabenbeschlüsse massgebend ist.

5.1.
Eine Ausgabe ist die Verwendung von Vermögen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben (vgl. § 32 Abs. 1 des Gesetzes über den Finanzhaushalt der Gemeinden vom 20. Juni 2016, FHGG, SRL Nr. 160). Jede Ausgabe setzt eine Rechtsgrundlage, einen Budgetkredit und eine Ausgabenbewilligung voraus (§ 33 FHGG). Bevor das Geld verwendet werden darf, müssen alle drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein.

5.2.
Gemäss § 35 FHGG, der den ausgabenrechtlichen Grundsatz der Einheit der Materie regelt, bestimmt sich die Ausgabenbefugnis nach der Gesamtausgabe für den gleichen Gegenstand. Ausgaben, die in einem sachlichen Zusammenhang zueinanderstehen, dürfen nicht künstlich aufgeteilt werden. Die Ausgabenbewilligung darf sich nur dann auf mehrere Gegenstände beziehen, wenn die Ausgaben sich gegenseitig bedingen oder einem gemeinsamen Zweck dienen, der zwischen ihnen eine enge sachliche Verbindung schafft. Die Aufteilung einer Ausgabe in einen freibestimmbaren und einen gebundenen Anteil ist zulässig. Der Grundsatz der Einheit der Materie besagt, dass zusammengehörende Ausgaben zusammengerechnet werden müssen. Ansonsten könnte durch die Aufteilung die Kompetenzordnung zur Bewilligung einer Ausgabe umgangen werden. Beim Entscheid darüber, ob eine Zusammenrechnungspflicht besteht, kommt den Behörden ein grosses Ermessen zu. Sie muss sich dabei aber von sachlichen Argumenten leiten lassen. Die Etappierung grosser Vorhaben ist zulässig, wenn zeitlich gestaffelte Ausbauschritte vorliegen, für welche kein sachlicher Zusammenhang besteht, die weiteren Etappen noch ungewiss sind oder zwischen den einzelnen Teilen ein langer Zeitablauf liegt, so dass sie wegen der grossen zeitlichen Distanz als voneinander isoliert erscheinen. Dagegen besteht eine Zusammenrechnungspflicht, wenn zum Zeitpunkt der Bewilligung der ersten Etappe das Folgen von weiteren Etappen für den gleichen Zweck und die damit verbundenen Kosten mit ziemlicher Sicherheit bereits feststehen. Ein tatsächlicher Zusammenhang besteht dann, wenn die Ausgaben dem gleichen Zweck dienen, sachlich eine Einheit bilden und so miteinander verbunden sind, dass die eine Ausgabe ohne die andere keinen Sinn macht. Die künstliche Aufteilung von Ausgaben ist nicht gestattet. Umgekehrt dürfen Ausgaben, die sich auf mehrere Gegenstände beziehen, nur dann zusammengerechnet werden, wenn sie sich gegenseitig bedingen oder aber einem gemeinsamen Zweck dienen, der zwischen ihnen eine enge sachliche Verbindung schafft (vgl. Handbuch Finanzhaushalt der Gemeinden des Finanzdepartements des Kantons Luzern, Kapitel 3 Ausgaben, 3.4.2.1 Einheit der Materie).

6.
Zunächst ist die Situation in Bezug auf das Wasserleitungsnetz im Aufgabenbereich «6 Bau, Umwelt und Raumordnung» zu prüfen.

(…)

6.3.
Das Investitionsbudget 2024 der Gemeinde Z sieht im Aufgabenbereich «6 Bau, Umwelt und Raumordnung» Ausgaben von 2,24 Mio. Franken vor. Für das Projekt «Ersatz und Kapazitätsausbau der Wasserleitung Y» sind Ausgaben von 935'000 Franken vorgesehen. Hierfür wurde den Stimmberechtigten an der Gemeindeversammlung korrekterweise ein Sonderkredit im Sinne einer Ausgabenbewilligung unterbreitet. Die übrigen Ausgaben in diesem Bereich sind in der Botschaft aufgelistet und erreichen die Sonderkreditlimite nicht. Beim Betrag von 275'000 Franken ist unter dem Projekttitel «Erneuerung Wasserleitungsprojekt» im Budget beim Status die Bemerkung «Umsetzung laufend in Koordination mit A AG und Wasser- und Abwasserprojekten» angegeben. In der Botschaft werden dazu Ausführungen gemacht. Es wird festgehalten, dass das Fernwärmenetz im 2023 im Bereich X ausgebaut worden sei. Potenziell stehe ein weiterer Ausbau zur Diskussion. Im AFP sei für 2025 diesbezüglich ein Betrag von 530'000 Franken berücksichtigt worden. Daraus geht hervor, dass es sich um verschiedene Projekte im Zusammenhang mit der Erneuerung des Wasserleitungsnetzes handelt, die laufend und in Koordination mit der A AG umgesetzt werden. Es kann daher in diesem Zusammenhang keine künstliche Aufteilung der Ausgaben erkannt werden. Der Betrag von 275'000 Franken und auch die anderen aufgeführten Ausgaben bei den Massnahmen und der Projekteliste dienen zwar übergeordnet dem gleichen Zweck, nämlich der Wasserversorgung, sie sind aber nicht derart miteinander verbunden, dass die eine Ausgabe ohne die andere keinen Sinn machen würde. (...)

7.
Weiter wird auch die Situation in Bezug auf den Erwerb und Aufbau eines Pavillons im Aufgabenbereich «2 Bildung» geprüft.

(...)

7.4.
Im Aufgabenbereich «2 Bildung» sieht das Investitionsbudget 2024 der Gemeinde Z Ausgaben in der Höhe von insgesamt 2,2 Mio. Franken vor. Im Sammelbetrag über 1,52 Mio. Franken sind 70'000 Franken für Strategie/Studien Schulraum, 390'000 Franken für die Erweiterung um ein Klassenzimmer, 860'000 Franken für das Provisorium und 200'000 Franken für den Wettbewerb Schulhaus geplant. Für das Provisorium auf dem Schulhausplatz wurde den Stimmberechtigten an der Gemeindeversammlung korrekterweise ein Sonderkredit im Sinne einer Ausgabenbewilligung unterbreitet. Die übrigen im Bereich Bildung angedachten und in der Botschaft teilweise aufgelisteten Investitionsvorhaben erreichen die Sonderkreditlimite nicht. Selbstverständlich dienen alle diese Ausgaben letztlich dem gleichen Zweck – der Bildung. Der Grundsatz der Einheit der Materie kann indes nicht so eng ausgelegt werden, dass sämtliche der Bildung dienenden Ausgaben stets zusammenzurechnen sind. Auch wenn diese alle das gleiche Gebäude, nämlich das Schulhaus, betreffen, geht es dabei um verschiedene Anpassungen im Gebäude (z. B. Akustik Treppenhaus, Optimierung Luftqualität, Innenbeleuchtung, Wettbewerb usw.). Vorliegend kann jedenfalls keine künstliche Aufteilung der Ausgaben erkannt werden. Beim Pavillon wird in der Botschaft im Zusammenhang mit dem Sonderkredit ausgeführt, dass für den weiter steigenden Bedarf für die Schule im nächsten Schuljahr das Raumangebot im bestehenden Schulhaus nicht mehr ausreiche. Auch aus der Präsentation der Gemeindeversammlung geht hervor, dass in erster Linie eine nutzungsmässige Entlastung des bestehenden Schulhauses (Puffer) geschaffen werden soll. Für die schulbegleitenden Dienste ist ein Umzug in externe Räume vorgesehen, um mehr Schulraum zu erhalten. Eine Variante ist zwar, diese im Pavillon unterzubringen. Es ist allerdings nicht zwingend, dass diese dort untergebracht werden, es ist auch ein Umzug in andere naheliegende Liegenschaften denkbar. Wie die Vorinstanz nachvollziehbar darlegt und aus der Botschaft sowie den weiteren aufgelegten Unterlagen hervorgeht, bedingen sich einerseits der Umzug der schulbegleitenden Dienste, der Umbau des Klassenzimmers sowie die anderen Investitionen im Bereich der Bildung und andererseits der Aufbau des Pavillons nicht gegenseitig, in dem die eine Ausgabe ohne die andere keinen Sinn macht würde.

8.
Wie in Erwägung 5.2. festgehalten, kommt der Behörde beim Entscheid darüber, ob eine Zusammenrechnungspflicht von einzelnen Beträgen besteht, ein grosses Ermessen zu, solange sie sich von sachlichen Argumenten leiten lässt. Dies ist vorliegend der Fall und wurde von den Stimmberechtigten anlässlich der Gemeindeversammlung auch so beurteilt. Ferner dürfen Ausgaben, die sich auf mehrere Gegenstände beziehen, nur dann zusammengerechnet werden, wenn sie sich gegenseitig bedingen oder aber einem gemeinsamen Zweck dienen, der zwischen ihnen eine enge sachliche Verbindung schafft (§ 35 Abs. 3 FHGG). Nur so haben die Stimmberechtigten die Möglichkeit, über einzelne Posten abzustimmen, und können nicht nur zum Ganzen Ja oder Nein sagen. Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass die Beschlüsse über den Sonderkredit für die Wasserleitung und den Sonderkredit für den Erwerb und Aufbau des Pavillons für die temporäre Auslagerung der Räumlichkeiten der Schulleitung und schulbegleitenden Dienste an der Gemeindeversammlung nicht zu beanstanden sind. Die Beschlussfassung ist zu Recht von der Gemeindeversammlung erfolgt und musste nicht mittels Urnenabstimmung erfolgen. Es ist unter diesen Umständen kein Verfahrensmangel und damit auch keine Verletzung der politischen Rechte erkennbar.