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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Regierungsrat
Abteilung:-
Rechtsgebiet:Volksrechte
Entscheiddatum:11.06.2024
Fallnummer:RRE Nr. 631
LGVE:2024 VI Nr. 6
Gesetzesartikel:§ 145 StRG, § 162 Abs. 1d StRG, § 14 Abs. 3 GG, § 38 Abs. 1 GG, § 22 Abs. 1 PBG
Leitsatz:Eine Gemeindeinitiative kann nur zur Behandlung von Gemeindegeschäften verlangt werden, die im Kompetenzbereich der Stimmberechtigten liegen. In den Zuständigkeitsbereich anderer Gemeindeorgane, namentlich des Gemeinderates, kann nicht eingegriffen werden.

Mit der Gemeindeinitiative kann folglich nicht die Anordnung einer verkehrsfreien Zone über entsprechende Verkehrsanordnungen verlangt werden, da Verkehrsanordnungen nicht im Zuständigkeitsbereich der Stimmberechtigten liegen. Das Ziel kann aber über eine entsprechende Nutzungszone erreicht werden, die durch die Stimmberechtigten zu erlassen wäre und die den Gemeinderat verpflichten würde zu prüfen, ob flankierende Massnahmen unter anderem mittels eines entsprechenden Signalisationsverfahrens nötig wären. Die nicht-ausformulierte Gemeinde-initiative ist daher umsetzbar und folglich zulässig.

Durch den Erlass einer verkehrsfreien Nutzungszone wird nicht in einer Weise in die Nutzungsplanung eingegriffen, die die Funktion des Nutzungsplans untergraben würde. Der Wirkungsbereich der Planbeständigkeit wird bei Erlass einer verkehrsfreien Nutzungszone somit nicht tangiert.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:Der Gemeinderat erklärte eine Gemeindeinitiative für ungültig mit der Begründung, der Kern des Initiativbegehrens liege nicht in der Zuständigkeit der Stimmberechtigten beziehungsweise könne nicht mit einem Sachgeschäft umgesetzt werden, das in der Zuständigkeit der Stimmberechtigten liege. Das Kernanliegen der Initiative umfasst die Forderung, dass die Altstadt als verkehrsfreie Zone definiert wird. Dagegen erhoben drei Stimmberechtigte sowie drei politische Parteien beim Regierungsrat des Kantons Luzern Stimmrechtsbeschwerde.

Aus den Erwägungen:

1.
Gemäss § 162 Absatz 1d des Stimmrechtsgesetzes vom 25. Oktober 1988 (StRG, SRL Nr. 10) können mit der Stimmrechtsbeschwerde Entscheide und Beschlüsse der Behörden von Gemeinden und Gemeindeverbänden angefochten werden, welche die Ungültigkeit eines Volksbegehrens feststellen. (…)

(…)

3.3
Gemäss § 145 Absatz 1 StRG ist ein Volksbegehren ungültig, wenn es rechtswidrig oder eindeutig undurchführbar ist. Ein Volksbegehren ist namentlich rechtswidrig, wenn es nach der Zuständigkeitsordnung des Gemeinwesens nicht zulässig ist (§ 145 Abs. 2b StRG). Gemäss § 38 Absatz 1 des Gemeindegesetzes vom 4. Mai 2004 (GG, SRL Nr. 150) können die Stimmberechtigten mit der Gemeindeinitiative die Abstimmung über ein Sachgeschäft der Gemeinde verlangen, das in ihrer Zuständigkeit liegt. Eine Gemeindeinitiative kann somit nur zur Behandlung von Gemeindegeschäften verlangt werden, die im Kompetenzbereich der Stimmberechtigten liegen. In den Zuständigkeitsbereich anderer Gemeindeorgane, namentlich des Gemeinderates, kann auf dem Initiativweg grundsätzlich nicht eingegriffen werden. Möglich ist jedoch, mit einer Rechtsetzungsinitiative auf ein Reglement einzuwirken, das dem Gemeinderat die Kompetenz zum Erlass einer Verordnung einräumt. Verlangt werden kann dabei, den Delegationsrahmen neu abzustecken oder dem Gemeinderat die entsprechende Kompetenz gänzlich zu entziehen (Peter Friedli, in: Kommentar zum Gemeindegesetz des Kantons Bern, Bern 1999, N 8 zu Art. 15 mit Hinweis auf Alfred Kölz, Die kantonale Volksinitiative in der Rechtsprechung des Bundesgerichts, Darstellung und kritische Betrachtung, in ZBl 83/1982, S. 15).

3.4.
Die vorliegende nicht-formulierte Initiative verlangt im Grundsatz (und dies auch explizit im ersten Teil des Begehrens), dass die Altstadt als verkehrsfreie Zone definiert wird. Es ist unbestritten, dass dies mittels entsprechender Verkehrsanordnungen (Fussgängerzone in Kombination mit Fahrverbot) erreicht werden kann (vgl. Art. 22c Signalisationsverordnung vom 5. September 1979, SSV, SR 741.21 sowie Art. 3 Abs. 3 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958, SVG, SR 741.01). Ebenfalls unbestritten ist, dass der Gemeinderat für den Erlass solcher Anordnungen zuständig ist, da die Altstadt aus Gemeindestrassen 2. und 3. Klasse besteht (vgl. Art. 107 Abs. 1 SSV i.V.m. § 18 Verordnung zum Gesetz über die Verkehrsabgaben und den Vollzug des eidgenössischen Strassenverkehrsrechtes vom 9. Dezember 1986, Strassenverkehrsverordnung, SRL Nr. 777 i.V.m. § 14 Abs. 3 GG). Die Beschwerdeführenden machen nun geltend, dass mit der Gemeindeinitiative zuerst diese Zuständigkeit an die Stimmberechtigten übertragen werden könne, woraufhin die Initiative zulässig würde. Dem kann nicht gefolgt werden. Es ist zwar wie ausgeführt möglich, dass mit einer Initiative dem Gemeinderat Kompetenzen entzogen und neu den Stimmberechtigten zugeteilt werden können. Die vorliegende Initiative verlangt jedoch nicht diese Neuzuteilung der Zuständigkeiten, sondern es geht um das Begehren, dass die Altstadt als verkehrsfreie Zone definiert wird. Daran ändert auch nichts, dass es sich um eine nicht-formulierte Initiative handelt. Die Argumentation der Beschwerdeführenden hätte zur Folge, dass die einschränkende Regelung von § 38 Absatz 1 Gemeindegesetz ausgehebelt würde, wenn bei jeder Initiative, welche nicht im Zuständigkeitsbereich der Stimmberechtigten liegt, in einem ersten Schritt diese Zuständigkeit geändert würde, damit die Initiative in einem zweiten Schritt gültig umgesetzt werden könnte. Dies ist jedoch nicht der Zweck dieser Bestimmung, der ein Ausfluss aus dem Gewaltenteilungsprinzip ist (vgl. Alex Stöckli, Die politischen Rechte des Aktivbürgers in der ordentlichen Gemeindeorganisation des Kantons Luzern, Willisau 1989, S. 139). Mit der vorliegenden Gemeindeinitiative kann folglich nicht verlangt werden, dass Verkehrsanordnungen erlassen werden, da dies nicht im Zuständigkeitsbereich der Stimmberechtigten liegt (vgl. LGVE 1991 III Nr. 10). Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die hier vorgesehenen Verkehrsanordnungen gemäss Bundesrecht zwingend von einer Behörde zu verfügen sind (vgl. Art. 107 Abs. 1 SSV). Das Bundesrecht verhindert somit die Übertragung dieser Kompetenz an eine Gemeindeversammlung. Eine Initiative, die dies verlangen würde, wäre ungültig, da sie gegen übergeordnetes Recht verstossen würde.

4.
Weiter ist zu prüfen, ob die Initiative auf andere Weise als mit dem Erlass von Verkehrsanordnungen umgesetzt werden kann. Eine Möglichkeit stellt grundsätzlich den Erlass einer verkehrsfreien Nutzungszone im Bau- und Zonenreglement dar (§ 35 Abs. 5 i.V.m. § 36 Abs. 2 Ziff. 11 Planungs- und Baugesetz, PBG, SRL Nr. 735). Dies liegt vorliegend im Zuständigkeitsbereich der Stimmberechtigten. Eine solche Nutzungszone kann zwar keine direkt anwendbaren Verkehrsanordnungen beinhalten, da diese auf einer anderen Rechtsgrundlage beruhen (siehe Erwägung 3.4.). Wird aber eine entsprechende Nutzungszone durch die Stimmberechtigten erlassen, wäre der Gemeinderat gestützt darauf verpflichtet zu prüfen, ob flankierende Massnahmen nötig sind beziehungsweise ob ein Signalisationsverfahren in Gang zu setzen ist. Folglich könnte das gesamte Initiativbegehren auf diese Weise umgesetzt werden. Daraus geht hervor, dass auch die Einheit der Materie gewahrt ist.

5.
(…) Eine Initiative ist nicht nur ungültig, wenn sie nach der Zuständigkeitsordnung des Gemeinwesens nicht zulässig ist, sondern auch, wenn der verlangte Beschluss gegen übergeordnetes Recht verstösst (vgl. § 145 Abs. 2f StRG). Das Gebot der Planbeständigkeit (vgl. Art. 21 Abs. 2 Bundesgesetz über die Raumplanung vom 22. Juni 1979, Raumplanungsgesetz, RPG, SR 700; so auch § 22 Abs. 1 PBG) schützt das Vertrauen auf die Beständigkeit von Nutzungsplänen (vorliegend das Bau- und Zonenreglement). Diese Nutzungspläne sind auf einen bestimmten Zeithorizont ausgerichtet. Dieser beträgt für Bauzonen 15 Jahre, Sondernutzungsplanungen, die auf eine rasche Umsetzung ausgerichtet sind, können einen kürzeren Zeithorizont aufweisen (Urteil des Bundesgerichts 1C_408/2019 vom 11. März 2020 E. 3.4.2 mit Hinweisen). Nutzungspläne verkörpern das zentrale Instrument der Raumplanung zur Verwirklichung einer zweckmässigen und haushälterischen Nutzung des Bodens. Sie vermögen ihre Funktion nur zu erfüllen, wenn ihnen Verbindlichkeit und Beständigkeit zukommt und sie nur bei Vorliegen besonderer Umstände beziehungsweise erheblich veränderter Verhältnisse in Frage gestellt beziehungsweise revidiert werden können (Pierre Tschannen, Dominik Elser, Gültigkeit der Volksinitiative «Für ein intaktes Stadtbild», Gutachten im Auftrag der Stadt Luzern, Bern 2014, S. 20 mit weiteren Hinweisen; BGE 120 Ia 227 E. 2b).

Vorliegend soll nun das Bau- und Zonenreglement nach nur rund fünf Jahren seit Inkrafttreten geändert werden, indem eine verkehrsfreie Nutzungszone erlassen wird. Die vorgesehene Nutzungszone würde das Verkehrsregime in der Altstadt neu regeln, nicht jedoch die Nutzung des Bodens. Das heisst, die Vorschriften der Nutzungsplanung, wo und in welchem Umfang gebaut werden darf, werden davon nicht berührt. Gerade diese Vorschriften sind es, die durch das Gebot der Planbeständigkeit in ihrem Bestand geschützt werden sollen. Da mit dem Erlass einer verkehrsfreien Nutzungszone nicht in einer Weise in die Nutzungsplanung eingegriffen wird, die die Funktion des Nutzungsplans untergraben würde, kann kein Verstoss gegen das Gebot der Planbeständigkeit ausgemacht werden. Oder mit anderen Worten gesagt, hat eine neue verkehrsfreie Nutzungszone keinen Einfluss auf die Vorschriften in der Nutzungsplanung, für die es wichtig ist, dass sie eine gewisse Beständigkeit haben. Da der Wirkungsbereich der Planbeständigkeit bei Erlass einer verkehrsfreien Nutzungszone somit nicht tangiert wird, steht dies der Änderung des Bau- und Zonenreglements nach so kurzer Zeit nicht entgegen.

(…)