Instanz: | Regierungsrat |
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Abteilung: | - |
Rechtsgebiet: | Stimmrecht |
Entscheiddatum: | 06.02.2025 |
Fallnummer: | RRE Nr. 92 |
LGVE: | 2025 VI Nr. 1 |
Gesetzesartikel: | § 160 Abs. 4 StRG, § 109 GG |
Leitsatz: | Juristische Personen, sowohl des Privat- als auch des öffentlichen Rechts, sind keine Trägerinnen der politischen Rechte und daher nicht zur Stimmrechtsbeschwerde legitimiert. Von der Stimmrechtsbeschwerde ausgeschlossen sind Wahlen und Abstimmungen durch die Delegiertenversammlung eines Gemeindeverbands, es sei denn, solche Beschlüsse wirkten sich unmittelbar auf das Stimmrecht der Stimmbürgerinnen und -bürger aus. |
Rechtskraft: | Dieser Entscheid ist rechtskräftig. |
Entscheid: | Am 25. November 2024 fand die Delegiertenversammlung des Gemeindeverbandes Z statt. Gemäss Einladung vom 6. September 2024 war unter Traktandum 4 das Thema Neophytensack zur Behandlung vorgesehen. 15 Gemeinden und Städte hatten die Weiterführung des Projektes Neophytensack beantragt. Der Vorstand beantragte an der Versammlung eine Ablehnung des Antrages und die Unterstützung seines geplanten Vorgehens mit der Annahme des unterbreiteten Budgets 2025. Der Antrag des Vorstandes wurde von 23 der 44 anwesenden Gemeinden angenommen. Dagegen erhob eine Verbandsgemeinde beim Regierungsrat des Kantons Luzern Stimmrechtsbeschwerde. Sie machte geltend, es sei nicht korrekt über den Antrag zu Traktandum 4 Neophytensack abgestimmt worden und die Stimmen seien falsch ermittelt worden. Aus den Erwägungen: 1. Die Beschwerdeführerin hat ihre Eingabe als Stimmrechtsbeschwerde bezeichnet. (...) 2.2. Zur Stimmrechtsbeschwerde legitimiert sind die Stimmberechtigten (§ 160 Abs. 4 StRG). Legitimiert ist zunächst jede Person, die in der betreffenden Sache stimm- bzw. wahlberechtigt ist oder geltend macht, ihre Stimm- bzw. Wahlberechtigung sei zu Unrecht verneint worden. Juristische Personen, sowohl des Privat- als auch des öffentlichen Rechts, sind keine Trägerinnen von politischen Rechten. Sie sind weder stimm- noch wahlberechtigt. Deshalb sind öffentlich-rechtliche Körperschaften gemäss ständiger Rechtsprechung auch nicht befugt, Beschwerde in Stimmrechtssachen zu erheben. Ausnahmsweise sind öffentlich-rechtliche Körperschaften zur Beschwerdeerhebung befugt, entweder wenn ihnen ein eigenes Initiativ- oder Referendumsrecht zukommt oder wenn sie gestützt auf eine Norm des kantonalen Rechts zur Beschwerdeführung im kantonalen Verfahren legitimiert werden (vgl. Luka Markić, Das kantonale Rechtsschutzverfahren im Bereich der politischen Rechte, Pfäffikon, 2022, Rz. 266, 274 und 279). Die Stimmrechtsbeschwerde bezieht sich auf die politische Stimmberechtigung der Bürgerinnen und Bürger bzw. auf Volkswahlen und -abstimmungen in staatlichen Angelegenheiten aller Ebenen (Bund, Kantone, Gemeinden) sowie anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften des staatlichen Rechts (Korporationen, Landeskirchen und Kirchgemeinden). Nicht Gegenstand der Stimmrechtsbeschwerde sind demgegenüber die Stimmberechtigung und die Wahlen und Abstimmungen in anderen Organen wie Parlamenten, Regierungen, Delegiertenversammlungen von Gemeindeverbänden usw. (vgl. Hansjörg Seiler, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Art. 82 N 99 und 101). 2.3. Wie ausgeführt sind nur die Stimmberechtigten legitimiert, Stimmrechtsbeschwerde zu erheben. Juristische Personen, sowohl des Privat- als auch des öffentlichen Rechts, sind keine Trägerinnen der politischen Rechte. Von der Stimmrechtsbeschwerde ausgeschlossen sind insbesondere behördliche Wahlen und Abstimmungen der Delegiertenversammlung eines Gemeindeverbands, es sei denn, solche Beschlüsse wirkten sich unmittelbar auf das Stimmrecht der Stimmbürgerinnen und -bürger aus. Dies ist bei der vorliegenden Angelegenheit nicht der Fall. Die Beschwerdeführerin ist somit zur Stimmrechtsbeschwerde nicht aktivlegitimiert. Auf die Stimmrechtsbeschwerde ist daher nicht einzutreten. 3. Da die vorgebrachten Rügen nicht mit Stimmrechtsbeschwerde vorgebracht werden können, ist zu prüfen, ob die Beschwerde unter einem anderen Titel zu behandeln ist. Die falsche Bezeichnung eines Rechtsmittels schadet nicht, sofern bezüglich des jeweils statthaften Rechtsmittels sämtliche Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind (vgl. BGE 133 II 396 E. 3.1). 3.1. Sofern kein anderes Rechtsmittel gegeben ist, können die Beschlüsse der Gemeindeorgane und der Gemeindeverbände beim Regierungsrat mit Gemeindebeschwerde angefochten werden. Die Gemeindebeschwerde kommt insbesondere dann zum Zug, wenn Organe entscheiden, die nicht dem Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege vom 3. Juli 1972 (VRG, SRL Nr. 40) unterstellt sind und wenn kein Entscheid im Sinne von § 4 VRG, sondern ein Beschluss im Sinne von § 109 Absatz 1 des Gemeindegesetzes vom 4. Mai 2004 [GG] vorliegt (Thomas Willi, Funktion und Aufgabe der Gemeindebeschwerde im System der Verwaltungsrechtspflege des Kantons Luzern, Emmenbrücke, 1989, S. 31). 3.2. Zur Einreichung der Gemeindebeschwerde gegen einen Beschluss ist befugt, wer ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat (§ 109 Abs. 1 und 2 GG). Zur Einreichung der Gemeindebeschwerde ist somit jedermann berechtigt, der von einem Beschluss betroffen ist. Auch Behörden und Gemeinwesen sind nach Lehre und Praxis grundsätzlich zur Beschwerdeführung legitimiert, wenn sie vom angefochtenen Beschluss gleich oder ähnlich wie eine Privatperson betroffen sind. Eine Gemeinde als Beschwerdeführerin wäre allenfalls denkbar, wenn sie den Beschluss eines Gemeindeverbandsorgans anfechten möchte (Willi, a.a.O., S. 153, 158 und 159 f.). 3.3 Verfahrensfehler im Zuge einer Abstimmung sind grundsätzlich mit der Stimmrechtsbeschwerde zu rügen. Hingegen fällt die Gemeindebeschwerde in Betracht für die Anfechtung von formellen Abstimmungen anderer kommunaler Organe wegen Verfahrensmängeln. Notwendiger Bestandteil des Anfechtungsobjektes im Gemeindebeschwerdeverfahren ist ein Beschluss im formellen Sinne. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus der Abgrenzung zum rein tatsächlichen Handeln von Organen und Verwaltungsbehörden. Der Beschluss im formellen Sinne hat als Gegenstand der Anfechtung indes grundsätzlich nur dort eine selbständige Bedeutung, wo Verfahrensfehler gerügt werden. Das Verfahren, gemäss welchem eine Abstimmung durchgeführt und damit der Inhalt eines Beschlusses festgestellt wird, bildet je nach Stufe und Bedeutung des beschliessenden Organs Inhalt eines Gesetzes oder einer Geschäftsordnung. Wurden die Normen der vorgeschriebenen Verfahrensordnung im Zuge einer Abstimmung verletzt, so besteht das Bedürfnis nach Anfechtung derselben. Anfechtungsobjekt bildet in diesen Fällen der Beschluss im formellen Sinne (Willi, a.a.O., S. 52 f.). 3.4. Gemäss Artikel 16 litera f der Statuten des Gemeindeverbands Z können die Delegierten vor der Delegiertenversammlung Anträge stellen. Die Beschwerdeführerin und 14 weitere Verbandsgemeinden haben einen Antrag bezüglich Neophytensack an die Delegiertenversammlung gestellt, der unter Traktandum 4 aufgeführt und behandelt wurde. Sie ist daher vom Beschluss betroffen und aufgrund des aktuellen Rechtsschutzinteresses zur Einreichung einer Gemeindebeschwerde befugt. (...) 4. Die Beschwerdeführerin verlangt in ihrer Eingabe, der Beschluss zu Traktandum 4 Neophytensack der Delegiertenversammlung der Vorinstanz vom 25. November 2024 sei aufzuheben, eventualiter sei die Nichtigkeit festzustellen. 4.1. In ihrer Beschwerde führte sie aus, (...) gemäss Statuten hätten die Delegierten unterschiedliche Stimmrechte. Man hätte nicht die Anzahl Stimmkarten, sondern die Anzahl Stimmen berücksichtigen müssen, was nicht erfolgt sei. (...) 4.2. Die Vorinstanz hielt in ihrer Vernehmlassung fest, (...) gestützt auf eine langjährige Praxis gehe der Vorstand davon aus, dass gemäss Artikel 16 litera e und h der Statuten des Z die Stimmenmehrheit grundsätzlich nach Delegiertenköpfen zu bestimmen sei. Nach dieser Auslegung der Statuten komme das Stimmrecht gemäss Artikel 11 Absatz 3 der Statuten des Z nur zum Tragen, wenn Delegierte eine Abstimmung mit Stimmenmehrheit gemäss Wohnbevölkerung verlangen würden. (...). (...) 6. Gemäss Artikel 11 Absatz 3 der Statuten des Gemeindeverbands Z (Zusammensetzung, Stimmrecht) richtet sich das Stimmrecht nach der Wohnbevölkerung der delegierten Gemeinde. Dabei hat der Delegierte für je 1'000 Einwohner eine Stimme und für eine 1'000 übersteigende Restzahl über 500 eine Stimme, jedoch in jedem Fall mindestens eine Stimme. Eine Regelung zu einer Abstimmung nach Delegiertenköpfen findet sich in den Statuten nicht. Auch aus Artikel 16 lässt sich nichts Entsprechendes ableiten. Dieser Artikel regelt lediglich die Bestimmung des (einfachen/qualifizierten) Mehrs, und zwar in Bezug auf die abgegebenen gültigen Stimmen aller anwesenden und vertretenen Verbandsgemeinden. Ob eine Abstimmung offen oder geheim durchgeführt wird, hat nach Statuten keine Auswirkungen auf die Ermittlung der Stimmrechte. Die Vorinstanz macht zwar geltend, dass ihr Vorgehen einer langjährigen Praxis im Gemeindeverband entspreche. Diesbezüglich ist mit der Beschwerdeführerin jedoch davon auszugehen, dass in Delegiertenversammlungen von Gemeindeverbänden oftmals keine Abstimmungen gemäss Stimmrecht in den Statuten nötig sind, da die Geschäfte in der Regel unbestritten sind und es somit keinen Unterschied macht, ob nach Delegiertenköpfen oder Gemeindestimmen ausgezählt wird. Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die Ermittlung des Abstimmungsresultates bei Traktandum 4 Neophytensack der Delegiertenversammlung der Vorinstanz vom 25. November 2024 statutenwidrig erfolgt ist. Daran ändert auch nichts, dass der Präsident das Vorgehen im Voraus transparent dargelegt hat. Ob die Beschwerdeführerin das Recht zur Anfechtung der Abstimmung verwirkt hat, weil ihr Delegierter die Verletzung der Verfahrensvorschriften an der Versammlung widerspruchslos hingenommen hat, kann unter diesen Umständen offen bleiben. Die von der Vorinstanz zitierte Rechtsprechung (insbesondere LGVE 2010 III Nr. 7), wonach festgestellte Mängel sofort zu rügen sind, ist vorliegend nicht massgebend, da sie sich auf die Stimmrechtsbeschwerde bezieht und daher nur bei Gemeindeversammlungen Anwendung findet. Es bleibt jedoch unverständlich, dass an der Versammlung niemand gegen dieses rechtswidrige Vorgehen des Vorstandes opponiert hat. Da sich bei einer offenen Abstimmung nachträglich nicht verbindlich eruieren lässt, welche Gemeinden dem Antrag des Vorstandes zugestimmt haben, ist es auch nicht mehr möglich zu ermitteln, ob dieser Antrag bei statutengemässer Ermittlung des Ergebnisses ebenfalls angenommen worden wäre. Da bei den antragstellenden Gemeinden mehrere grössere Verbandsgemeinden vertreten sind, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das korrekte Ergebnis anders ausgefallen wäre. Unter diesen Umständen ist die Abstimmung zu Traktandum 4 Neophytensack der Delegiertenversammlung der Vorinstanz vom 25. November 2024 aufzuheben. |