| Instanz: | Kantonsgericht | 
|---|---|
| Abteilung: | 4. Abteilung | 
| Rechtsgebiet: | Bau- und Planungsrecht | 
| Entscheiddatum: | 20.01.2025 | 
| Fallnummer: | 7H 23 119 | 
| LGVE: | 2025 IV Nr. 11 | 
| Gesetzesartikel: | § 25 Abs. 1 PBG, § 29 PBG, § 112a Abs. 2 lit. h PBG; § 13 Abs. 1 PBV. | 
| Leitsatz: | Es besteht kein kommunaler Spielraum, die im vorliegenden Bauprojekt geplanten Balkone, welche die Dimensionen für vorspringende Gebäudeteile überschreiten, als Nebenbauten zu qualifizieren. Die Balkone sind Teil des Hauptgebäudes. Dies ergibt sich aus den kantonalen Bestimmungen, deren Auslegung und Einbettung ins kantonale Recht und gestützt auf die Rechtsprechung betreffend vorspringende Gebäudeteile. Die Balkonflächen sind demnach zur Überbauungsziffer der Hauptbaute hinzuzurechnen. | 
| Rechtskraft: | Dieser Entscheid ist rechtskräftig. | 
| Entscheid: | Sachverhalt: A. G.________ ist Eigentümer der Grundstücke Nrn. N.________ und O.________, Grundbuch (GB) I.________, die sich in der Wohnzone 2b (Typ B) befinden. Im südöstlichen Teil der Grundstücke verläuft oberirdisch ein Bach, ein namenloser Zufluss zum J.________-Bach. Entlang dieses Bachs verläuft eine Grünzone "Gewässerraum" und im Uferbereich befinden sich Uferbestockungen. Auf dem Grundstück Nr. O.________ steht eine rund 100-jährige Eiche, die gemäss der kommunalen Bau- und Zonenordnung als geschütztes Naturobjekt ausgewiesen ist. G.________ reichte, zusammen mit H.________, am 1. Dezember 2021 ein Baugesuch für den Bau eines Mehrfamilienhauses mit Einstellhalle sowie eines Veloabstellraums auf den erwähnten zwei Grundstücken ein. B. Während der öffentlichen Auflage des Baugesuchs gingen bei der Gemeinde I.________ insgesamt elf Einsprachen ein, unter anderem von C.________ und D.________ (Eigentümer des Grundstücks Nr. Q.________, GB I.________), A.________ und B.________ (Eigentümer der Grundstücke Nrn. S.________ und T.________, GB I.________) sowie E.________ und F.________ (Stockwerkeigentümer auf dem Grundstück Nr. U.________, GB I.________; Miteigentümer des Grundstücks Nr. V.________ GB I.________). Der Gemeinderat eröffnete seinen Baubewilligungsentscheid Nr. R.________ vom 27. April 2023 am 4. Mai 2023. Die gegen das Bauprojekt erhobenen Einsprachen wurden abgewiesen, soweit sie zufolge Rückzugs nicht als erledigt erklärt wurden. Für die privatrechtlichen Einsprachen wurde an den Zivilrichter verwiesen. Die Baubewilligung wurde unter Auflagen und Bedingungen erteilt. Gleichzeitig mit dem Baubewilligungsentscheid eröffnete der Gemeinderat den Entscheid der Dienststelle Raum und Wirtschaft (rawi) vom 24. Januar 2023. C. Gegen den Baubewilligungsentscheid des Gemeinderats I.________ liessen die Beschwerdeführer 1 - 3 am 25. Mai 2023 gemeinsam Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben und folgende Anträge stellen: "1. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei gutzuheissen. 2. Der Entscheid des Gemeinderates I.________ vom 27. April 2023, Gesuch-Nr. R.________, sei aufzuheben. 3. Die Sache sei eventualiter im Sinn der Erwägungen des Kantonsgerichts zu einem neuen Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten der Beschwerdegegner, allenfalls zu Lasten der Vorinstanz." Die Beschwerdegegner wie auch der Gemeinderat I.________ schlossen in ihren Vernehmlassungen auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Die Beschwerdeführer hielten in der Replik an ihren Anträgen fest, ergänzten diese jedoch um den Verfahrensantrag, dass ihnen Einsicht in die vorinstanzlichen Akten, insbesondere den Baubewilligungsentscheid mit Beilagen, zu gewähren sei. Im weiteren Rechtsschriftenwechsel hielten die Verfahrensbeteiligten an ihren Anträgen und im Wesentlichen an ihren Begründungen fest. Im Rahmen des Schriftenwechsels stellte das Gericht den Beschwerdeführern die vorinstanzlichen Akten antragsgemäss zu. Aus den Erwägungen: 5. 5.1. Hinsichtlich der materiellen Vorbringen ist vorab auf die Rüge betreffend Nichteinhaltung der zulässigen Überbauungsziffer einzugehen. Die Beschwerdeführer bringen in diesem Zusammenhang vor, das Bauprojekt überschreite die höchstzulässige Überbauungsziffer, weil die Balkone im Obergeschoss wie auch die Sitzplätze im Erdgeschoss als anrechenbare Gebäudeflächen fälschlicherweise zur Überbauungsziffer der Nebenbaute hinzugerechnet wurden. Diese Flächen seien stattdessen bei der Überbauungsziffer der Hauptbaute zu berücksichtigen. Ferner stelle der als Nebenbaute ausgewiesene Velo-/Abstellraum eine Hauptbaute dar, da dieser eine anrechenbare Fläche von mehr als 50 m2 aufweise. Dementsprechend sei auch die anrechenbare Gebäudefläche des Velo-/Abstellraums zur Hauptbaute hinzuzurechnen. Würden diese Gebäudeflächen korrekterweise zur Hauptbaute hinzugerechnet, sei deren Überbauungsziffer klar überschritten. 5.2. Auf dem Plan Überbauungsziffer 1:200, auf den im Baubewilligungsentscheid abgestützt wurde (vgl. Baubewilligungsentscheid E. 8), werden die Balkone auf der Südost- bzw. Südseite als Nebengebäude ausgewiesen. Diese Zuordnung begründete die Vorinstanz – wie auch die Beschwerdegegner – im Wesentlichen damit, dass die Balkone, welche eine Gesamthöhe von 4,5 m nicht überschreiten, Nebenbenutzungsflächen seien und sich ausserhalb der projizierten Fassadenlinie der Hauptbaute befänden. Damit seien die Balkone korrekterweise der Überbauungsziffer für Nebenbauten zugewiesen worden, was auch der kommunalen Praxis entspreche. Die Beschwerdeführer führten demgegenüber aus, die Balkone stellten keine eigenen Baukörper dar, weshalb sie nicht als Nebenbauten qualifiziert werden dürften. Der Gesetzgeber habe mit der Regelung in § 13 der Planungs- und Bauverordnung (PBV; SRL Nr. 736) keinesfalls Balkone von Hauptgebäuden privilegieren wollen. 5.3. Nach § 25 Abs. 1 des Planungs- und Baugesetzes (PBG; SRL Nr. 735) ist die Überbauungsziffer das Verhältnis der anrechenbaren Gebäudefläche zur anrechenbaren Grundstücksfläche. Sie kann für Zonen, Nutzungen und Gebäude sowie innerhalb einer Zone differenziert nach Gesamthöhen festgelegt werden (Abs. 2). Die Gemeinden können gemäss § 13 Abs. 1 PBV i.V.m. § 29 PBG im Bau- und Zonenreglement oder im Bebauungsplan für folgende Bauten eine zusätzliche, nur für diese Bauten verwendbare Überbauungsziffer festlegen: Bauten mit einer geringeren als der zulässigen Gesamthöhe (lit. a), Kleinbauten und Anbauten (lit. b) und Unterniveaubauten (lit. c). Die Gemeinde I.________ hat von der Kompetenz nach § 13 Abs. 1 PBV Gebrauch gemacht. Im Bau- und Zonenreglement (BZR) der Gemeinde I.________ wurde die Überbauungsziffer für Hauptbauten und Nebenbauten separat festgelegt (vgl. Art. 5 Abs. 1 BZR I.________). Nach Art. 7 Abs. 1 BZR I.________ werden unter dem Begriff der Nebenbauten Bauten mit einer Gesamthöhe bis 4,5 m zusammengefasst, unabhängig davon, ob sie Haupt- oder Nebennutzflächen aufweisen. Gemäss Anhang 1 beträgt die Überbauungsziffer in der vorliegend relevanten Wohnzone 2b (Typ B) bei Hauptbauten 0,24 und bei Nebenbauten 0,08. Gemäss Auffassung der Vorinstanz umschliesst der im kantonalen Recht nicht verankerte Begriff "Nebenbauten" alle in § 13 PBV aufgeführten Bauten. 5.4. Es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass die Gemeinde I.________ den Begriff der Nebenbauten in seinem Bau- und Zonenreglement eingeführt hat. Auf kommunaler Ebene wird damit kein neuer Baurechtsbegriff mit materiellem Gehalt begründet, sondern lediglich die in § 13 PBV umschriebenen Bauten unter einem kommunalen Begriff, den Nebenbauten, zusammengefasst. Ob sich Art. 7 Abs. 1 BZR I.________, wie die Vorinstanz in der Beschwerdeschrift vorbringt, tatsächlich auf alle Bauten nach § 13 PBV bezieht, oder doch nur – wie es der Wortlaut der Reglementsbestimmung nahelegt – auf § 13 Abs. 1 lit. a PBV, kann angesichts der nachfolgenden Ausführungen offen bleiben. 5.5. Mit Blick auf die kommunale Praxis ist zu prüfen, ob Art. 7 Abs. 1 BZR I.________ bzw. § 13 PBV Auslegungsspielräume dafür lassen, dass die Gemeinde die vorliegend streitgegenständlichen Balkone als Nebenbauten qualifizieren kann – und damit als "Baute mit einer geringeren als der zulässigen Gesamthöhe", als "Kleinbaute bzw. Anbaute" oder als "Unterniveaubaute". Dabei ist an die bestehende kantonsgerichtliche Rechtsprechung anzuknüpfen. Rechtsprechungsgemäss haben vorspringende Gebäudeteile, welche das Mass von § 112a Abs. 2 lit. h PBG überragen (Fassadenflucht) oder überschreiten (Fassadenabschnitt), als Teile des Gebäudes (z.B. vorspringendes geschlossenes Treppenhaus, Wintergarten, grösserer Erker, Balkon) oder als Anbaute (z.B. Geräteschopf) zu gelten (vgl. Urteil des Kantonsgerichts Luzern 7H 20 174 vom 23.8.2021 E. 4.4). In einem späteren Leitentscheid stellt das Kantonsgericht sodann klar, dass bei Anbauten eine architektonische Selbständigkeit erforderlich sei. Der Anbau muss als solcher erkennbar sein und keine Erweiterung des Hauptgebäudes darstellen. Überdies muss der Anbau durch eine Innenwand von der Hauptbaute getrennt sein (vgl. LGVE 2024 IV Nr. 5 E. 5.3.4.4). 5.6. 5.6.1. Vorspringende Gebäudeteile müssen die gemäss § 112a Abs. 2 lit. h PBG zulässigen Masse einhalten und dürfen sowohl Haupt- als auch Nebennutzflächen enthalten. Hält ein Gebäudeteil diese Masse nicht ein, handelt es sich begrifflich nicht um einen vorspringenden Gebäudeteil, sondern um einen Gebäudeteil, der die festgesetzten Dimensionen für vorspringende Gebäudeteile sprengt (z.B. vorspringendes geschlossenes Treppenhaus, Wintergarten, grösserer Erker, Balkon) oder um eine Anbaute (z.B. Geräteschopf; vgl. Ziff. 3.4 Abs. 6 der Erläuterungen zur Interkantonalen Vereinbarung über die Harmonisierung der Baubegriffe (IVHB; SRL Nr. 737) vom 3. September 2013 zum Begriff der vorspringenden Gebäudeteile). Bei einem Gebäudeteil handelt es sich – wie erwähnt – dann um eine Anbaute, wenn er nur Nebennutzflächen enthält, gewisse Masse nicht überschreitet und eine gewisse konstruktive und architektonische Selbständigkeit aufweist (vgl. § 112a Abs. 2 lit. d PBG und die oben erwähnten Urteile). Gebäudeteile, welche die festgesetzten Dimensionen für vorspringende Gebäudeteile sprengen und welche die für die Definition einer Anbaute erforderlichen übrigen Voraussetzungen nicht erfüllen, bilden Teil der anrechenbaren Gebäudefläche des entsprechenden Hauptgebäudes und werden bei der Festlegung der Fassadenflucht, bzw. der (projizierten) Fassadenlinie des entsprechenden Gebäudes mitberücksichtigt. Solche Gebäudeteile werden also vollständig von der projizierten Fassadenlinie des Hauptgebäudes umfasst. Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus § 112a Abs. 2 lit. h i.V.m. lit. e, f und g PBG (vgl. Skizzen zur IVHB [Anhang 2], Figur 3.4; vgl. auch die erläuternden Skizzen des Bau-, Umwelt- und Wirtschaftsdepartementes zu den Baubegriffen und Messweisen gemäss PBG vom 7.3.1989 und PBV vom 29.10.2013, Ausgabe vom 1.5.2014, Skizzen 1b, 4a und 4b). 5.6.2. Die SIA Norm 416 (SN 504 416) unterscheidet (unter anderem) zwischen Hauptnutzflächen, Nebennutzflächen und Aussennutzflächen. Bei Balkonflächen handelt es sich um Aussennutzflächen und nicht um Nebennutzflächen (vgl. SIA Norm 416, Figur 6, Nutz-, Verkehrs- und Funktionsflächen; vgl. auch Skizzen zur IVHB [Anhang 2], Figur 8.2). Da Balkone keine Nebennutzflächen umfassen und im Übrigen auch nicht die erforderliche architektonische Selbständigkeit aufweisen, kann es sich bei Balkonen nicht um Anbauten handeln. Die hier strittigen Balkone auf der Südost- bzw. Südseite überschreiten einen Drittel des zugehörigen Fassadenabschnitts und hiermit zugleich eines der gemäss § 112a Abs. 2 lit. h PBG zulässigen Masse. Begrifflich handelt es sich daher nicht um vorspringende Gebäudeteile, sondern um Teile des (Haupt-)Gebäudes. Damit steht zugleich fest, dass es sich bei Balkonen nicht um (eigenständige) zusätzliche Bauten handeln kann, für welche die Gemeinden nach Massgabe von § 13 PBV zusätzliche Überbauungsziffern erlassen dürfen. 5.7. Ausgehend von den kantonalen Bestimmungen (§ 13 PBV), deren Auslegung und Einbettung ins kantonale Recht und gestützt auf die Rechtsprechung betreffend vorspringende Gebäudeteile besteht kein kommunaler Spielraum, die im vorliegenden Bauprojekt geplanten Balkone als Nebenbauten zu qualifizieren. Die Balkone sind Teil des Hauptgebäudes. Die Balkonflächen, welche die Dimensionen für vorspringende Gebäudeteile überschreiten, sind demnach zur Überbauungsziffer der Hauptbaute hinzuzurechnen. Gemäss Plan Überbauungsziffer 1:200 weisen die Balkone eine Grundfläche von insgesamt 18,04 m2 auf, womit sich die Grundfläche der Hauptbaute auf 299,01 m2 erhöht. Die maximal zulässige Gebäudegrundfläche von 281,04 m2 – und damit auch die maximal zulässige Überbauungsziffer – ist klar überschritten. 5.8. Die vorstehenden Erwägungen können auch auf die Qualifizierung der Sitzplätze übertragen werden; auch diese können – mangels architektonischer Selbständigkeit bzw. fehlender Qualifikation als Nebennutzfläche – grundsätzlich nicht als An- bzw. Nebenbauten gemäss Art. 7 Abs. 1 BZR I.________ bzw. § 13 PBV verstanden werden. Das Kantonsgericht hat in diesem Zusammenhang bereits erwogen, dass kein Raum bleibe, einen an die Erdgeschoss-Fassade grenzenden gepfählten Aussenbereich als Anbaute zu qualifizieren (vgl. Urteil des Kantonsgerichts Luzern 7H 17 302 vom 16.10.2018 E. 5.5). Die vorliegend geplanten Sitzplätze haben keine solche Grenzpfähle, sondern heben sich – soweit ersichtlich – lediglich über erhöhte Betonfundamente von der Umgebung ab. Von einer architektonisch selbständigen Baute kann nicht die Rede sein. 5.9. Angesichts der bereits klaren Überschreitung der Überbauungsziffer kann offen gelassen werden, ob der Velo-/Abstellraum zu Recht als Nebenbaute qualifiziert wurde, wie dies die Vorinstanz gestützt auf ihre kommunalen Bestimmungen so annimmt. Auch hier ist festzustellen, dass eigenständige Bestimmungen des BZR, die eine Gemeinde gestützt auf die allgemeine, vom kantonalen Gesetzgeber übertragene Kompetenz erlässt, nur soweit anwendbar sein können, als sie die Baubegriffe und Messweisen gemäss § 112a PBG respektieren. 5.10. Die Rüge der Beschwerdeführer betreffend Nichteinhaltung der höchstzulässigen Überbauungsziffer erweist sich damit als begründet. Der Gemeinderat I.________ hat die Baubewilligung zu Unrecht erteilt. |