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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:2. Abteilung
Rechtsgebiet:Scheidung
Entscheiddatum:22.07.2025
Fallnummer:3B 24 30
LGVE:2025 II Nr. 3
Gesetzesartikel:Art. 227 und 230 ZPO.
Leitsatz:Wenn erstmals in der Duplik die Anpassung der nachehelichen Unterhaltsbeiträge verlangt wird, muss die Gegenpartei aufgrund der Interdependenz zwischen Kinderunterhalt und nachehelichem Unterhalt im Schlussvortrag die Gelegenheit erhalten, sich zusätzlich zu den Kinderunterhaltsbeiträgen auch zu den nachehelichen Unterhaltsbeiträgen zu äussern und entsprechende Begehren zu stellen. Trotz Novenschranke und Dispositionsmaxime können die Rechtsbegehren betreffend nachehelichen Unterhalt betragsmässig (im Schlussvortrag) soweit erhöht werden, als dass insgesamt (d.h. zusammen mit den Kinderunterhaltsbeiträgen) die Rechtsbegehren die ursprünglich verlangten Unterhaltsbeiträge nicht übersteigen.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:Aus den Erwägungen:

1.2.3.5.
Die Klägerin änderte ihre Rechtsbegehren im Schlussvortrag. Im Rahmen der Eintretensfrage war von der Vorinstanz zu beurteilen, ob diese Anträge rechtzeitig gestellt wurden. Vorliegend konnten sich die Parteien in einem Schriftenwechsel sowie im Anschluss an die Parteibefragung im Rahmen der Instruktionsverhandlung mündlich äussern. Damit ist grundsätzlich der Aktenschluss eingetreten (vgl. BGE 140 III 312 E. 6.3.2). Wie die Vorinstanz zutreffend festhält, ist aufgrund der für den nachehelichen Unterhalt geltenden Verhandlungsmaxime eine Klageänderung nach Art. 230 der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO; SR 272) nur noch zulässig, wenn die Voraussetzungen nach Art. 227 Abs. 1 ZPO gegeben sind (lit. a) und sie auf neuen Tatsachen oder Beweismitteln beruht (lit. b). Die Voraussetzungen nach Art. 230 ZPO waren gemäss Feststellungen der Vorinstanz nicht gegeben, was von der Klägerin im Berufungsverfahren nicht beanstandet wird.

Die Schlussfolgerung der Vorinstanz, dass die erst im Schlussvortrag gestellten Anträge der Klägerin betreffend nachehelichen Unterhalt unbeachtlich seien, greift allerdings zu kurz. Denn einerseits hält das Bundesgericht fest, dass bei einer Klageänderung die Gegenpartei zur Wahrung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör die Möglichkeit erhalten muss, zu den erhöhten Klagebegehren Stellung zu nehmen (BGE 142 III 48 E. 4.1; BGer-Urteil 5A_16/2016 vom 26.5.2016 E. 5.1; vgl. Art. 29 Abs. 2 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft [BV; SR 101] und Art. 53 ZPO). Andererseits ist vorliegend die sogenannte Interdependenz zwischen Kinderunterhalt und nachehelichem Unterhalt zu beachten. Die Tatsache, dass mit der Klageänderung des Beklagten zusätzlich zum Kinderunterhalt auch der nacheheliche Unterhaltsbeitrag zum Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens wurde, hat Auswirkungen auf die Verfahrensmaximen. Zwar handelt es sich beim Kindes- und nachehelichen Unterhalt grundsätzlich um selbstständige Ansprüche mit je eigenem rechtlichem Schicksal. Da die Unterhaltsbeiträge für Ehegatten und Kinder unter dem Aspekt der Leistungsfähigkeit des Pflichtigen indessen eine Einheit bilden und die einzelnen Ansprüche nicht vollständig unabhängig voneinander festgesetzt werden können, wirkt sich die im Bereich des Kindesunterhalts geltende Untersuchungsmaxime unweigerlich auch auf den nachehelichen Unterhalt aus. Eine strikte Anwendung der Dispositionsmaxime für den nachehelichen Unterhalt ist nicht mehr angezeigt, wenn der nacheheliche Unterhalt gleichzeitig mit dem Kindesunterhalt, der der Offizialmaxime unterliegt, festgesetzt werden muss. Die Dispositionsmaxime muss dann insofern abgeschwächt werden, als das Gericht nicht an den allein für den nachehelichen Unterhalt anerkannten Betrag gebunden ist, sondern an den Gesamtbetrag der Kindes- und Ehegattenunterhaltsbeiträge. Aufgrund der Interdependenz können die für den Kindesunterhalt gewonnenen Erkenntnisse nicht für den im gleichen Entscheid beurteilten nachehelichen Unterhalt ausgeblendet bzw. im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtrechnung separiert werden (vgl. BGE 149 III 172 E. 3.4.1, 147 III 301 E. 2.2, 128 III 411 E. 3.2.2; BGer-Urteil 5A_667/2015 vom 1.2.2016 E. 6.1 m.w.H.). Wenn die für den Kindesunterhalt gewonnenen Erkenntnisse auf der tatsächlichen Ebene nicht für den im gleichen Entscheid beurteilten ehelichen Unterhalt ausgeblendet bzw. im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtrechnung separiert werden können, hat dies konsequenterweise auch für die rechtliche Operation (Anträge) zu gelten (BGer-Urteil 5A_112/2020 vom 28.3.2022 E. 2.2).

1.2.3.6.
Nachdem der Beklagte erstmals in der Duplik die Anpassung der nachehelichen Unterhaltsbeiträge verlangte, musste die Klägerin im Schlussvortrag die Gelegenheit erhalten, sich zusätzlich zu den Kinderunterhaltsbeiträgen auch zu den nachehelichen Unterhaltsbeiträgen zu äussern und entsprechende Begehren zu stellen.

In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die Klägerin mit ihrer Klage auf Abänderung (nur) der Kinderunterhaltsbeiträge implizit die Bestätigung der nachehelichen Unterhaltsbeiträge gemäss Scheidungsurteil verlangt hat. Vor der Klageänderung des Beklagten bestand für sie keine Notwendigkeit, einen Eventualantrag in Bezug auf den nachehelichen Unterhalt zu stellen. Das Gericht ist bei der Zusammensetzung des Unterhaltsbeitrags (Kinderunterhalt und nachehelicher Unterhalt) im Rahmen der Gesamtrechnung nur insofern an die Parteianträge gebunden, als dass diese die Ober- bzw. Untergrenze des Unterhaltsbeitrags vorgeben. Es trifft zwar zu, dass eine Erhöhung der Rechtsbegehren alleine in Bezug auf den nachehelichen Unterhalt im Schlussvortrag aufgrund der Novenschranke und der diesbezüglich geltenden Dispositionsmaxime betragsmässig grundsätzlich nicht mehr möglich ist. Entgegen den Ausführungen der Vorinstanz kann der nacheheliche Unterhaltsbeitrag aufgrund der Interdependenz der ebenfalls im Streit stehenden Kinderunterhaltsbeiträge aber durchaus erhöht werden, soweit die der Klägerin zugesprochenen Unterhaltsbeiträge insgesamt nicht die in der Abänderungsklage verlangten Unterhaltsbeiträge (Kinderunterhaltsbeiträge gemäss Rechtsbegehren zzgl. nacheheliche Unterhaltsbeiträge gemäss Scheidungsurteil) übersteigen.