Instanz: | Verwaltungsgericht |
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Abteilung: | Sozialversicherungsrechtliche Abteilung |
Rechtsgebiet: | Kantonale Familienzulagen |
Entscheiddatum: | 18.10.1991 |
Fallnummer: | S 91 115 |
LGVE: | 1991 II Nr. 43 |
Leitsatz: | § 14 FZG; § 6 FZV. Wirkungsbereich von Anmeldungen zu Leistungen im Sozialversicherungsbereich im allgemeinen und auf dem Gebiet der kantonalen Familienzulagen im besonderen. |
Rechtskraft: | Diese Entscheidung ist rechtskräftig. |
Entscheid: | A. - Der 1948 geborene, verheiratete X hatte sich seinerzeit am 4. November 1986 zum Bezug von Familienzulagen für Selbständigerwerbende nichtlandwirtschaftlicher Berufe angemeldet. Die Zulagen wurden ihm alsdann mit seinem Einverständnis provisorisch ausgerichtet. Die spätere Meldung der Kantonalen Steuerverwaltung vom 22. Juni 1990 zur Steuerveranlagung 1987/88 veranlasste die Kasse indes zur nachträglichen Abweisung des Leistungsbegehrens und zur Rückforderung der bereits geleisteten Betreffnisse (Verfügung vom 2. 7. 1990). Da auf der Steuermeldung auch Lohneinkommen der Ehefrau des Leistungsansprechers deklariert war, wurde dieser von der Kasse mündlich darauf aufmerksam gemacht, seine Frau könne sich zum Bezug von Familienzulagen für Arbeitnehmer anmelden. Diese Anmeldung ging am 4. Januar 1991 bei der Kasse ein. B. - Mit Verfügung vom 23. Januar 1991 gewährte die Familienausgleichskasse des Kantons Luzern der Zulagenansprecherin Y Teilzulagen nach Massgabe ihrer Teilerwerbstätigkeit, und zwar rückwirkend bis 1. Januar 1989; dies mit dem Hinweis, dass die geltendgemachten Zulagen für die Zeit vor dem 1. Januar 1989 gestützt auf § 14 FZG verjährt seien. C. - Mit fristgerecht eingelegter Beschwerde bringt X für seine Ehefrau Y vor, er habe seine selbständige Erwerbstätigkeit am 1. November 1986 aufgenommen. Erst mit Zustellung der Steuer-Einschätzungsanzeige am 19. März 1990, welche Einschätzung am 19. April 1990 rechtskräftig geworden sei, habe über seine Einkommensverhältnisse, wie sie von den Steuerbehörden gewertet würden, endgültig Klarheit geherrscht. Er sehe nun nicht ein, warum für seine Ehefrau die Kinderzulagen erst ab 1. Januar 1989 und nicht bereits ab 1. November 1986 ausgerichtet würden. Anfänglich habe berechtigte Hoffnung geherrscht, dass er selbst die Kinderzulagen beziehen könne. Es sei nicht sein Fehler, wenn die Steuereinschätzung so spät vorgenommen worden sei. Die Kasse trägt in ihrer Vernehmlassung auf Abweisung der Beschwerde an. Denn bei der Nachforderungsfrist des § 14 FZG handle es sich um eine Verwirkungsfrist. X habe von Anfang an damit rechnen müssen, dass sein Zulagenanspruch nachträglich verneint werde. Im weiteren habe er in seiner Anmeldung vom 4. November 1986 die Frage nach der Erwerbstätigkeit seiner Ehefrau nicht beantwortet, obwohl die Ehefrau gemäss Bestätigung des Arbeitgebers vom 27. Dezember 1990 seit dem 1. Januar 1983 einer Erwerbstätigkeit nachgehe. Da sich X bei der Anmeldung vom 4. November 1986 der Bedeutung der Erwerbstätigkeit seiner Ehefrau für einen allfälligen Zulagenanspruch habe bewusst sein müssen, sei im vorliegenden Fall ein entschuldbarer Grund für die Verspätung nicht ersichtlich. Y hat die Frist zur Replik unbenützt verstreichen lassen. Das Verwaltungsgericht hat erwogen: Im Streite steht die Nachforderung von Kinderzulagen. Die Kasse bejaht die Nachforderung zurück bis 1. Januar 1989, das heisst 2 Jahre rückwirkend ab der von der Kasse als massgeblich angesehenen Anmeldung der Beschwerdeführerin (Eingang 4.1.1991). Die Beschwerdeführerin erachtet die Anmeldung ihres Ehemannes vom 4. November 1986 als massgeblich und beansprucht die Kinderzulagen dergestalt bereits ab 1. November 1986. 1. - a) Das kantonale Gesetz über die Familienzulagen (FZG) in der hier massgeblichen Fassung ordnet die Nachforderung nicht bezogener Familienzulagen einzig unter dem Abschnitt «Familienzulagen für Arbeitnehmer». Demgemäss ist die Nachforderung nichtbezogener Familienzulagen auf die letzten zwei Jahre vor der Geltendmachung des Anspruchs beschränkt (§ 14 FZG). Wer Leistungen aufgrund des Familienzulagengesetzes beansprucht, hat sich demgemäss beim Arbeitgeber oder bei der zuständigen Familienausgleichskasse anzumelden und die nötigen Nachweise zu erbringen (§ 6 Abs. 1 FZV). Sofern der Arbeitnehmer seinen Anspruch nicht selber geltend macht, kann die Anmeldung durch die in § 13 Abs. 3 FZG genannten Personen und Stellen erfolgen (§ 6 Abs. 2 FZV). Massgebend im Sinne von § 14 FZG ist grundsätzlich der Zeitpunkt, in dem der Fragebogen eingereicht wurde. Wurde allerdings der Fragebogen aus irgendwelchen Gründen dem Gesuchsteller verspätet abgegeben und hat dieser seinen Willen zum Bezug der Familienzulagen in einem früheren Zeitpunkt eindeutig zum Ausdruck gebracht, so ist nach Verwaltungs- und Gerichtspraxis dieser Zeitpunkt massgebend (Urteil P. vom 23. 3. 1982). In solchen ausserordentlichen Fällen hat jedoch der Gesuchsteller sichere Beweismittel beizubringen (vgl. auch EVG-Urteil B. vom 26. 9. 1957; Erläuterungen des Bundesamtes für Sozialversicherung zu den geltenden Erlassen über die Familienzulagen in der Landwirtschaft vom 1. April 1986, Rz 126). Im übrigen darf nach einem allgemeinen Rechtsgrundsatz in der Regel niemand aus seiner Rechtsunkenntnis Vorteile ableiten (RKUV 1986 S. 35; BGE 97 IV 66, 100 IV 246; Urteil Z. vom 31. 10. 1988). b) Das Gesetz über die Familienzulagen ordnet die Thematik des Leistungsnachbezugs im wesentlichen nur in den aufgezeigten Grundzügen. In den Übergangs- und Schlussbestimmungen zum Gesetz über die Familienzulagen findet sich in § 35 FZG immerhin eine Vorschrift zur Anwendung ergänzenden Rechts. Demnach sind für die Familienzulagen an Arbeitnehmer die Vorschriften über die eidgenössischen Alters- und Hinterlassenenversicherung und für die Familienzulagen an Selbständigerwerbende die Vorschriften der Familienzulagenordnung des Bundes für Kleinbauern sinngemäss anwendbar, soweit das Gesetz über die Familienzulagen nichts anderes bestimmt. Bei den Kinderzulagen für Kleinbauern wurde der Nachforderungszeitraum mit der Gesetzesnovelle vom 14. Dezember 1979, in Kraft seit 1. April 1980, ebenfalls wie bei den kantonalen Familienzulagen auf zwei Jahre festgelegt. Zur Beurteilung dieses Beschwerdefalls ist demnach auf jeden Fall davon auszugehen, dass der hier massgebliche, gesetzlich geregelte Nachforderungszeitraum zwei Jahre beträgt. c) Was indes die verfahrensrechtliche Ordnung betrifft, sieht § 32 FZG ausdrücklich vor, dass für das Beschwerdeverfahren sinngemäss die Verfahrensvorschriften für Streitsachen aus dem Gebiet der eidgenössischen Sozialversicherung gelten. Sodann sind für Verfügungen nach dem Gesetz über die Familienzulagen sinngemäss die Verfahrensvorschriften der eidgenössischen Alters- und Hinterlassenenversicherung anzuwenden (§ 32 Abs. 1 FZG). Überdies gilt es hier darauf aufmerksam zu machen, dass auch die Familienzulagenordnung in der Landwirtschaft mit Art. 22 Abs. 1 FLG in bezug auf die Rechtspflege auf die in der Alters- und Hinterlassenenversicherung geltenden Bestimmungen verweist. Bei dieser Regelung erscheint es auch in bezug auf Einzelheiten zur Problematik der Nachforderung von Leistungen angezeigt, sich hauptsächlich an den für die Alters- und Hinterlassenenversicherung gültigen Regeln, bzw. den dabei anwendbaren allgemeinen Rechtsgrundsätzen, zu orientieren. 2. - a) Bei der bereits genannten Nachforderungsfrist handelt es sich um eine Verwirkungsfrist (zu unterscheiden von der Bezugsverjährung, vgl. LGVE 1976 II Nr. 35), mit deren Ablauf der Anspruch erlöscht, und zwar grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Gründe, aus denen der Anspruch nicht früher geltend gemacht wurde (vgl. generell Imboden/Rhinow, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Bd. I, Nr. 34 B VII; EVG-Urteil H. vom 3. 9. 1986 mit Hinweisen; im Speziellen: Beschwerdeentscheide des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 13. 11. 1970 i. S. K. und vom 14. 5. 1973 i. S. R. sowie Urteil A. vom 12. 9. 1980). b) Obgleich Verwirkungsfristen in der Regel weder einer Erstreckung noch einer Unterbrechung oder Wiederherstellung zugänglich sind (BGE 113 V 69 Erw. 1 c mit Hinweisen; BGE 114 V 123; Grisel, Traité de droit administratif, Neuchâtel 1984, S. 663), ist die Wiederherstellung einer versäumten Frist für die Geltendmachung des Leistungsanspruchs auch ohne ausdrückliche gesetzliche Verankerung möglich, sofern ein entschuldbarer Grund für die Verspätung nachgewiesen ist. Eine davon abweichende Betrachtungsweise vermag schon deshalb nicht zu überzeugen, weil die Möglichkeit einer Restitution im Falle einer unverschuldeten Verhinderung an der rechtzeitigen Vornahme rechtlich bedeutsamer Handlungen bei gesetzlichen Verwirkungsfristen als allgemeiner Grundsatz generell anerkannt ist (BGE 108 V 109). Da selbst Rechtsmittelfristen im Beschwerdeverfahren wiederhergestellt werden können, besteht keine sachlich begründete Veranlassung, dies bezüglich der Fristen im nichtstreitigen Verwaltungsverfahren auszuschliessen (ARV 1988 Nr. 17; BGE 114 V 123; Urteil H. vom 12. 1. 1990). c) Die vorstehend umschriebene Möglichkeit der Wiederherstellung der Geltendmachungs- bzw. Meldefrist bei Vorliegen eines entschuldbaren Grundes vergleicht das Eidgenössische Versicherungsgericht mit jener, in welcher ein Gesuchsteller oder sein Vertreter unverschuldet abgehalten worden ist, innert der Frist zu handeln und zieht damit einen Analogieschluss zu Art. 35 OG und Art. 24 VwVG. Diese Bestimmungen lauten gleichermassen: «Wiederherstellung gegen die Folgen der Versäumnis einer Frist kann nur dann erteilt werden, wenn der Gesuchsteller oder sein Vertreter durch ein unverschuldetes Hindernis abgehalten worden ist, innert der Frist zu handeln, und binnen zehn Tagen nach Wegfall des Hindernisses unter Angabe desselben die Wiederherstellung verlangt und die versäumte Rechtshandlung nachholt» (BGE 108 V 110, 107 V 189ff.; Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 62f.; Urteile L. vom 23. 10. 1990 und H. vom 12. 1. 1990). 3. - Welche Schlussfolgerungen man aus den vorstehenden grundsätzlichen Erörterungen, die die bisherige Rechtsprechung zur aufgeworfenen Frage widerspiegeln, im Blick auf den hier zur Beurteilung stehenden Fall auch immer ziehen mag, so bleibt jedenfalls für eine abschliessende Beurteilung dieser Streitsache auf die Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts zu den Auswirkungen einer Anmeldung zu Leistungen im Bereich der Sozialversicherung hinzuweisen und namentlich folgendes hervorzuheben: a) Ein bei einer Ausgleichskasse eingereichtes Nachzahlungsbegehren gilt auch für Renten, die zuständigkeitshalber von einer andern Ausgleichskasse auszuzahlen waren (ZAK 1957 S. 74). Diese Bemerkung mag hier deshalb von Belang sein, weil die Luzerner Familienzulagenordnung für Selbständigerwerbende und Unselbständigerwerbende (nichtlandwirtschaftlicher Berufe) getrennte Kassen vorsieht. b) Im Sinne einer eigentlichen Praxisänderung hat die höchstrichterliche Instanz sodann jüngst in BGE 116 V 273 Erw. 3 und 4 erkannt, dass einer Anmeldung zum Leistungsbezug formell eine grundsätzlich unbefristete Wirkung zuzuerkennen ist. Wohl könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich bei verspäteter Abklärung rechtserhebliche Tatsachen allenfalls nicht mehr zuverlässig ermitteln liessen. Das wirke sich aber für jene Partei nachteilig aus, welche aus dem unbewiesenen Sachverhalt Rechte ableiten wolle (BGE 115 V 113 Erw. 3d/bb). c) Die Abklärungspflicht der zuständigen Stelle erstreckt sich bei Leistungsgesuchen auf sämtliche mit dem vorgetragenen Sachverhalt und der Aktenlage im Zusammenhang stehenden Leistungen (ZAK 1988 S. 180 Erw. 3b mit weiteren Hinweisen), also nicht bloss auf die vom Leistungsbewerber gerade speziell aufgeführten Leistungen. 4. - In Anwendung der eben angeführten Leitsätze zum ordentlichen Wirkungsbereich von Anmeldungen bei Sozialversicherungsleistungen gilt es in casu festzuhalten, dass die ursprüngliche Anmeldung des Ehemannes der Beschwerdeführerin vom 4. November 1986 zum Bezug von Familienzulagen als Selbständigerwerbender einzig deshalb nicht zugleich als alternatives Leistungsgesuch für die Beschwerdeführerin als Unselbständigerwerbende aufgefasst werden musste, weil weder die Anmeldung noch die bezüglichen Unterlagen ausreichende Hinweise auf eine unselbständige Erwerbstätigkeit der Beschwerdeführerin enthielten. Dieser Umstand wurde bei der Kasse erst mit der Steuermeldung vom 22. Juni 1990 aktenkundig. Ab jenem Zeitpunkt konnte und musste die seinerzeitige Anmeldung vom 4. November 1986 als dermassen vervollständigt angesehen werden, dass sie zugleich ein - allenfalls verbesserungsbedürftiges - Leistungsgesuch der Beschwerdeführerin als Unselbständigerwerbende beinhaltete. Unter Beachtung des § 14 FZG, welche Bestimmung den Leistungsnachbezug auf 2 Jahre begrenzt, ist somit auf einen Leistungsanspruch der Beschwerdeführerin ab 1. Juni 1988 zu schliessen. Ein weiter zurückreichender Leistungsanspruch der Beschwerdeführerin muss dagegen aus der Warte der vorstehenden grundsätzlichen Erörterungen zur Frage von Verwirkungsfristen verneint werden. Denn das Fehlen eines Hinweises auf die unselbständige Erwerbstätigkeit der Beschwerdeführerin in der ursprünglichen Anmeldung vom 4. November 1986 ist eindeutig auf ein unentschuldbares Pflichtversäumnis des Ehemannes der Beschwerdeführerin zurückzuführen. Es gebricht so an den oben beschriebenen Voraussetzungen zur Wiederherstellung der Geltendmachungs- bzw. Meldefrist. Bei der beschriebenen Situation ist die Beschwerde insofern teilweise gutzuheissen, als ein Leistungsanspruch der Beschwerdeführerin bereits ab 1. Juni 1988 zu bejahen ist. Die Sache ist in diesem Sinn zur Neufestsetzung der Nachforderung der Beschwerdeführerin an die Kasse zurückzuweisen. |