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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Obergericht
Abteilung:II. Kammer
Rechtsgebiet:Strafrecht
Entscheiddatum:24.10.2002
Fallnummer:21 02 153
LGVE:2003 I Nr. 64
Leitsatz:Art. 179novies und 320 StGB; Art. 3 DSG; Art. 8 Ziff. 2 EMRK. Informationen aus dem Privatleben eines Mitarbeiters der Verwaltung fallen nicht unter den Schutzbereich von Art. 320 StGB (E. 3.1). Die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten ist in einem Strafverfahren nur dann relevant, wenn der Verstoss auch durch eine Strafnorm sanktioniert wird und in Bezug auf diese Norm ein tatbestandsmässiges, rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten nicht ohne weiteres verneint werden kann (E. 3.2). Das Tatbestandselement des Beschaffens von Personendaten im Sinne von Art. 179novies StGB ist dann nicht erfüllt, wenn keine technische Schranke, sondern lediglich der Mensch als Schranke überwunden wird (E. 3.3.1). Randdaten privater Telefongespräche stellen weder besonders schützenswerte Personendaten noch ein Persönlichkeitsprofil im Sinne von Art. 179novies StGB dar (E. 3.3.3).
Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Entscheid:Art. 179novies und 320 StGB; Art. 3 DSG; Art. 8 Ziff. 2 EMRK. Informationen aus dem Privatleben eines Mitarbeiters der Verwaltung fallen nicht unter den Schutzbereich von Art. 320 StGB (E. 3.1). Die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten ist in einem Strafverfahren nur dann relevant, wenn der Verstoss auch durch eine Strafnorm sanktioniert wird und in Bezug auf diese Norm ein tatbestandsmässiges, rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten nicht ohne weiteres verneint werden kann (E. 3.2). Das Tatbestandselement des Beschaffens von Personendaten im Sinne von Art. 179novies StGB ist dann nicht erfüllt, wenn keine technische Schranke, sondern lediglich der Mensch als Schranke überwunden wird (E. 3.3.1). Randdaten privater Telefongespräche stellen weder besonders schützenswerte Personendaten noch ein Persönlichkeitsprofil im Sinne von Art. 179novies StGB dar (E. 3.3.3).



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Der Privatkläger P. war von 1972 bis 1999 Angestellter der Gemeinde X. Um festzu-stellen, wie häufig der Privatkläger private Gespräche von seinem Dienstanschluss aus führ-te, liess sich sein Vorgesetzter V. vom Betreuer B. der Telefonzentrale die Randdaten der abgehenden Telefongespräche vom 1. Januar bis 12. Juli 1999 ausdrucken und aushändi-gen. Danach wurde das Dienstverhältnis mit dem Privatkläger per 31. Oktober 1999 gekün-digt.



In der Folge reichte der Privatkläger Strafklage gegen V. und B. ein wegen unbefugten Beschaffens von Personendaten nach Art. 179novies StGB. Nach durchgeführter Untersu-chung stellte der Amtsstatthalter mit begründetem Entscheid die Strafuntersuchung gegen V. und B. ein. Den gegen diesen Entscheid vom Privatkläger erhobenen Rekurs hiess die Staatsanwaltschaft gut und der Fall wurde dem Amtsgericht zur Beurteilung überwiesen. Dieses sprach die beiden Angeklagten vom Vorwurf der unbefugten Beschaffung von Perso-nendaten nach Art. 179novies StGB, der Verletzung des Amtsgeheimnisses nach Art. 320 StGB, der Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses nach Art. 321ter StGB sowie der unbefugten Verwertung von Informationen nach Art. 50 FMG frei. Gegen dieses Urteil reichte der Privatkläger fristgerecht Kassationsbeschwerde beim Obergericht ein. Das Ober-gericht wies die Kassationsbeschwerde ab, soweit es darauf eintrat.

Aus den Erwägungen:

3.1. Zunächst rügt der Privatkläger, die Beurteilung der Vorinstanz, wonach der Ange-klagte B. die dem Amtsgeheimnis unterstehenden Daten dem Angeklagten V. wegen dessen Vorgesetztenstellung und wegen der Behauptung ungenügender Leistungen des Privatklä-gers habe weitergeben dürfen, verletze Art. 320 StGB. Entgegen der Annahme der Vorin-stanz sei V. gegenüber B. keineswegs weisungsberechtigt gewesen. Abgesehen davon sei nicht einzig das Unterstellungsverhältnis massgebend. Auch Vorgesetzte dürften nicht sämt-liche Informationen über ihre Untergebenen einholen, die erhältlich seien. Solle der private Bereich eines Mitarbeiters überwacht oder untersucht werden, sei der Mitarbeiter vorgängig darauf aufmerksam zu machen und anzuhören.



3.1.1. Im vorliegenden Fall ist eine vorherige Information des Privatklägers tatsächlich unterblieben. Für die Beurteilung unter dem Gesichtspunkt von Art. 320 StGB ist dies jedoch ohne Relevanz. Ebenso kann die Frage nach der Weisungsberechtigung des Angeklagten V. gegenüber dem Angeklagten B. offen bleiben. Art. 320 StGB findet hier mangels Vorliegens eines Geheimnisses im Sinne dieser Bestimmung gar keine Anwendung. Bei einem Ge-heimnis gemäss Art. 320 StGB kann es sich entweder um ein Dienstgeheimnis (Schutz von Gemeinwesen) oder um ein Privatgeheimnis (Schutz eines Privaten) handeln. Bei den Pri-vatgeheimnissen geht es um persönliche Angelegenheiten einer Privatperson, welche ver-pflichtet oder auch nur faktisch darauf angewiesen ist, diese einer Amtsstelle mitzuteilen, z.B. bei Auskünften über finanzielle Verhältnisse gegenüber Steuer- oder Fürsorgebehörden oder der Schilderung persönlicher und familiärer Probleme, um Rat einzuholen (Jörg Reh-berg, Strafrecht IV, 2. Aufl., Zürich 1996, S. 421). Im vorliegenden Fall stehen dagegen In-formationen aus dem Privatleben eines Mitarbeiters - und nicht Dritten - zur Diskussion (Randdaten privater Gespräche im Rahmen des Dienstverhältnisses). Solche "Geheimnisse" fallen nicht unter den Schutzbereich von Art. 320 StGB. Der Unterschied zu privaten Arbeits-verhältnissen liesse sich nicht begründen (Stefan Trechsel, Schweizerisches Strafgesetz-buch, Kurzkomm., 2. Aufl., Zürich 1997, N 6 zu Art. 320 StGB). Entsprechend wird denn auch ein (privates) Geheimhaltungsinteresse verneint, wenn die Beziehung des Privaten zum Gemeinwesen eine solche ist, wie sie auch zwischen Privaten bestehen kann (Blätter für Zürcherische Rechtsprechung 90/1991 Nr. 94 S. 317 E. 5c).



3.1.2. (...)



3.1.3. Zusammenfassend steht fest, dass sich die Kassationsbeschwerde in diesem Punkt als unbegründet erweist.



3.2. Der Privatkläger rügt weiter, das angefochtene Urteil widerspreche Art. 8 Ziff. 2 EMRK und verletzte damit materielles Bundesrecht, weil eine klare gesetzliche Grundlage für den Eingriff in seinen Privatbereich fehle.



3.2.1. Dazu ist darauf hinzuweisen, dass eine allfällige Verletzung von verfassungsmässigen Rechten für das vorliegende Strafverfahren nur insofern relevant ist, als der Ver-stoss auch durch eine Strafnorm sanktioniert wird und in Bezug auf diese Norm ein tatbe-standsmässiges, rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten nicht ohne weiteres verneint werden kann. Dies ist hier nicht der Fall. Die Vorinstanz hat die Angeklagten V. und B. vom privatklägerischen Vorwurf der unbefugten Beschaffung von Personendaten nach Art. 179novies StGB, der Verletzung des Amtsgeheimnisses nach Art. 320 StGB, der Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses nach Art. 321ter StGB und der unbefugten Verwer-tung von Informationen nach Art. 50 FMG freigesprochen. Mit heutigem Urteil wird die dage-gen erhobene Kassationsbeschwerde abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. Im Weite-ren findet das eidgenössische Datenschutzgesetz (inkl. seine Strafnormen) hier keine An-wendung (vgl. Art. 2 DSG) und das Personal- sowie Datenschutzreglement der Gemeinde X. sind - soweit überhaupt massgebend - an keine strafrechtlichen Sanktionen geknüpft.



3.2.2. Damit erweist sich die Kassationsbeschwerde auch in diesem Punkt als unbe-gründet.



3.3. Weiter bringt der Privatkläger vor, die Beurteilung der Vorinstanz, wonach der An-geklagte V. sich die Randdaten der Telefongespräche des Privatklägers nicht im Sinne von Art. 179novies StGB beschafft habe, stelle eine unrichtige Anwendung dieser Bestimmung dar. Es komme nicht darauf an, dass eine technische Schranke überwunden werde. Mass-geblich sei, dass sich V. verbotenerweise um die Daten bemüht habe, womit er sie im Sinne von Art. 179novies StGB auch beschafft habe. Bezüglich des Angeklagten B. sei zu bemer-ken, dass dieser zwar dem Grundsatz nach befugt gewesen sei, Daten aus der Telefonanla-ge abzurufen. In concreto sei er hierzu jedoch nicht berechtigt gewesen, weil der Ausdruck der Daten nicht dafür bestimmt gewesen sei, die Telefongebühren auf die verschiedenen Dienstabteilungen aufteilen zu können. Entsprechend seien beide Angeklagten wegen Ver-letzung von Art. 179novies StGB zu verurteilen.

(...)

3.3.1. In Bezug auf den Angeklagten V. ist - mit der Vorinstanz - darauf hinzuweisen, dass die Tathandlung von Art. 179novies StGB nur erfüllt wird, wenn der Täter die Zugriffssi-cherung eines Datenträgers, in den er nicht ohne weiteres Einblick nehmen darf, überwindet oder umgeht (Günter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Bes. Teil I, 5. Aufl., Bern 1995, § 12 N 74 ff. i.V.m. § 14 N 30). Kein Beschaffen liegt jedoch dort vor, wo der Mensch als Schranke überwunden wird. Wer etwa durch Bestechung, Nötigung, rechtswidrigen Be-fehl oder sonstige Anstiftungsmittel an Daten aus einer ihm nicht zugänglichen Datensamm-lung im Einverständnis mit dem Inhaber der Datensammlung herankommt, fällt nicht unter den Anwendungsbereich von Art. 179novies StGB (Gunther Arzt, Basler Komm. zum Schweizerischen Datenschutzgesetz, Basel 1995, N 11 zu Art. 179novies StGB). Vorliegend hatte V. keine technische Schranke zu überwinden oder zu umgehen, sondern liess sich die Daten einfach durch B. aushändigen. Das Tatbestandselement des Beschaffens im Sinne von Art. 179novies StGB ist deshalb nicht erfüllt.



3.3.2. In Bezug auf den Angeklagten B. ist Folgendes festzuhalten: Wie der Privatklä-ger selbst einräumt, war B. grundsätzlich befugt, Daten aus der Telefonanlage abzurufen. Der Zweck bzw. der Hintergrund, welcher zur Einsichtnahme in die Daten führte, spielt dabei keine Rolle. Massgeblich ist allein, dass die Daten für B. offensichtlich frei zugänglich waren. Art 179novies StGB betrifft aber nur Daten, welche nicht frei zugänglich sind. Der Tatbestand von Art. 179novies StGB ist somit auch hinsichtlich des Angeklagten B. nicht erfüllt.



3.3.3. Art. 179novies StGB ist im Weiteren schon deshalb nicht erfüllt, weil es vorlie-gend am Erfordernis der "besonders schützenswerten Personendaten oder Persönlichkeits-profile" mangelt. Art. 3 lit. c des Bundesgesetzes über den Datenschutz vom 19. Juni 1992 (DSG, SR 235.1) definiert "besonders schützenswerte Personendaten" als Daten über religi-öse, weltanschauliche, politische oder gewerkschaftliche Ansichten oder Tätigkeiten, Ge-sundheit, Intimsphäre oder Rassenzugehörigkeit, Massnahmen der sozialen Hilfe und admi-nistrative oder strafrechtliche Verfolgungen oder Sanktionen. In casu sind keine solcher Da-ten betroffen. Die Aufzeichnung von Randdaten privater Telefongespräche tangierte wohl die Privatsphäre, nicht aber die Intimsphäre des Privatklägers. Der Intimsphäre werden Daten zugeordnet, die jemand lediglich einem kleinen Kreis von auserwählten Personen zugänglich macht und die von einer grossen emotionalen Bedeutung sind (Urs Belser, Basler Komm. zum Schweizerischen Datenschutzgesetz, Basel 1995, N 14 zu Art. 3 DSG; BBl 1988 II 446). Die fraglichen Telefongespräche des Privatklägers fallen nicht darunter, betreffen sie doch unbestrittenermassen die Verwaltung bzw. den Umbau einer privaten Liegenschaft in Zürich. Ein "Persönlichkeitsprofil" wird in Art. 3 lit. d DSG als Zusammenstellung von Daten definiert, welche eine Beurteilung wesentlicher Aspekte der Persönlichkeit einer natürlichen Person erlaubt. Nicht jede Kombination von Daten ist somit ein Persönlichkeitsprofil (Urs Belser, a.a.O., N 20 zu Art. 3 DSG). Eine Aufstellung blosser Randdaten abgehender Telefonate von einem Arbeitsplatz aus (Datum und Zeit des Telefonats, gewählte Rufnummer, Ort, Ge-sprächsdauer und Gebühr) ermöglicht keine Beurteilung wesentlicher Aspekte der Persön-lichkeit des Telefonierenden. Es kann deshalb bei den in Frage stehenden Daten auch nicht von einem Persönlichkeitsprofil gesprochen werden.



3.3.4. Die Kassationsbeschwerde erweist sich daher auch im vorliegenden Punkt als unbegründet.



II. Kammer, 24. Oktober 2002 (21 02 153)



(Das Bundesgericht hat die dagegen erhobene Beschwerde am 24. Februar 2003 abgewiesen.)