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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Obergericht
Abteilung:II. Kammer
Rechtsgebiet:Familienrecht
Entscheiddatum:03.11.1999
Fallnummer:22 99 49
LGVE:1999 I Nr. 4
Leitsatz:Art. 145 und 176 ZGB; §§ 195 Abs. 2 und 197 ZPO. Rechtshängigkeit des Scheidungsprozesses. Ein Gesuch um Eheschutzmassnahmen nach Art. 176 ZGB ist zulässig, solange die Ehescheidungsklage nicht eingereicht ist.

Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Entscheid:Im Scheidungsprozess der Parteien endete der Aussöhnungsversuch am 18. November 1999 unvermittelt. Im anschliessenden Verfahren nach Art. 145 ZGB erliess die Amtsgerichtspräsidentin einen Erledigungsentscheid und überband die Verfahrenskosten dem Kläger, weil dieser den Ehescheidungsprozess nicht innert der gesetzlichen Weisungsscheinsfrist durch Einreichung der Scheidungsklage weitergeführt hatte. Das Obergericht wies die dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Klägers ab mit folgenden Erwägungen:

3.3. Der Kläger bringt vor, die Amtsgerichtspräsidentin habe ihm zu Unrecht die Verfahrenskosten auferlegt. Der Weisungsschein sei eine Prozessvoraussetzung und nicht eine Prozessverpflichtung. Nicht jedem erfolglosen Aussöhnungsversuch müsse zwangsläufig auch die entsprechende Klage folgen. Zudem habe die Beklagte in Kenntnis des klägerischen Aussöhnungsgesuchs am 17. November 1998 ihr Gesuch nach Art. 176 ZGB auf eigenes (Kosten-)Risiko eingereicht. Die Amtsgerichtspräsidentin hätte auf das Eheschutzgesuch der Beklagten gar nicht eintreten dürfen bzw. es kostenfällig abweisen müssen. Statt dessen habe sie das Gesuch der Beklagten als Gesuch nach Art. 145 ZGB entgegengenommen. Schliesslich hätte die durch einen Anwalt vertretene Beklagte das Verfahren um vorsorgliche Massnahmen solange sistieren lassen können, bis festgestanden hätte, ob die Ehescheidungsklage rechtzeitig eingereicht sei. Es seien keine dringlichen Anordnungen zu treffen gewesen und die Verhandlung vor dem Amtsgericht im Massnahmeverfahren sei erst auf den 5. Mai 1999 und damit nach Ablauf des Weisungsscheines angesetzt worden.

3.3.1. Dem Kläger ist insoweit zuzustimmen, als er nicht verpflichtet war, die Scheidungsklage einzureichen. Die Prosequierung des Rechtsbegehrens, d.h. die Klageanhebung im Scheidungsprozess ist keine Rechtspflicht, sondern bloss eine prozessuale Obliegenheit. Das Aussöhnungsgesuch leitet den Scheidungsprozess ein und begründet die Rechtshängigkeit der Streitigkeit (§ 197 ZPO). Fällt der Prozess nun mangels Prosequierung (Klageanhebung) dahin, treten nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung zwar nicht die Verwirkung des (familienrechtlichen) Anspruchs, hingegen Kostennachteile ein (Sutter-Somm Thomas, Vom alten zum neuen Scheidungsrecht, Bern 1999, Anm. 20 zur Rz 5.12). Ein Gesuch um vorsorgliche Massnahmen bzw. darauf gestützte Anordnungen fallen bei Beendigung des Scheidungsprozesses von Gesetzes wegen dahin, gleichgültig aus welchem Grund der Prozess erledigt wurde (Spühler/Frei-Maurer, Berner Komm., Ergänzungsband, N53 zu Art. 145 ZGB). Die Gegenstandslosigkeit des Scheidungsprozesses und damit auch des Verfahrens nach Art. 145 ZGB hat hier der Kläger zu vertreten, da er im Hinblick auf die Ehescheidung den Prozess anhängig gemacht und den Weisungsschein unbenutzt hat ablaufen lassen. Der Entscheid der Amtsgerichtspräsidentin, dem Kläger die Prozesskosten gemäss § 121 Abs. 1 und 2 lit. a ZPO aufzuerlegen, erfolgte im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens und ist daher nicht zu beanstanden.

3.3.2. Gemäss Lehre und Rechtsprechung können Eheschutzmassnahmen nicht mehr angeordnet werden, sobald die Klage auf Ehescheidung oder Ehetrennung eingereicht worden ist (BGE 101 II 1, 2; Spühler/Frei-Maurer, a.a.O., N 47 zu Art. 145 ZGB; Hausheer/Reusser/Geiser, Komm. zum Eherecht, Bern 1988, Vorbem. zu Art. 171 ff. N 17; Hinderling/Steck, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 4. Aufl., Zürich 1995, S. 532; Hegnauer/Breitschmid, Grundriss des Eherechts, 3. Aufl., Bern 1993, N 21.08). Die Beklagte hat vorliegend in Kenntnis des klägerischen Aussöhnungsgesuchs, jedoch noch vor Einreichung der Scheidungsklage um Eheschutzmassnahmen nachgesucht.

Die Rechtshängigkeit des Scheidungsprozesses entfällt, wenn die Scheidungsklage nicht fristgerecht - d.h. während der Gültigkeitsdauer des Weisungsscheines - eingereicht wird. § 195 Abs. 2 ZPO ist dabei so zu verstehen, dass die Rechtshängigkeit ex tunc dahinfällt. Dies, weil das Ehescheidungsbegehren erst mit Einreichung der Klage und nicht schon mit dem Aussöhnungsbegehren dem Gericht zur Beurteilung unterbreitet wird und erst damit der Hauptprozess (§§ 198 ff. ZPO) beginnt. Daher steht die mit dem Aussöhnungsgesuch begründete Rechtshängigkeit unter der (Suspensiv-)Bedingung der rechtzeitigen Einreichung der Scheidungsklage und hat bis dahin nur provisorischen Charakter. Folglich ist auf ein Gesuch um vorsorgliche Massnahmen nicht mehr einzutreten, wenn keine Scheidungsklage eingereicht und damit keine (definitive) Rechtshängigkeit begründet wurde. Wird ein Gesuch um Eheschutzmassnahmen noch vor Einreichung der Scheidungsklage anhängig gemacht, kann es nicht zum Vornherein als unzulässig bezeichnet werden; auf das Gesuch der Beklagten nach Art. 176 ZGB hätte die Amtsgerichtspräsidentin damals ohne weiteres eintreten dürfen.

Obwohl also im vorliegenden Fall das beklagtische Gesuch um Eheschutzmassnahmen im Zeitpunkt der Einreichung zulässig gewesen wäre, kann der Kläger daraus nichts zu seinen Gunsten ableiten. Die Amtsgerichtspräsidentin hat nach Rücksprache mit der Beklagten aufgrund ihres Gesuchs ein Verfahren nach Art. 145 ZGB eröffnet und den Kläger zur Stellungnahme aufgefordert. Dieser ist sowohl in seinem Fristerstreckungsgesuch als auch in seiner Stellungnahme von einem Gesuch nach Art. 145 ZGB ausgegangen und hat die ihm bekannte Umwandlung des ursprünglichen Gesuchs der Beklagten nicht beanstandet. Damit hat er sein Einverständnis zur Umwandlung bzw. Anhandnahme des Gesuchs als Massnahmebegehren im Verfahren nach Art. 145 ZGB gegeben. Sein heutiger Standpunkt widerspricht seinem damaligen Verhalten und verstösst damit gegen Treu und Glauben (§ 57 ZPO). Die Amtsgerichtspräsidentin hat mit ihrem Vorgehen nach der bisherigen Praxis keinen Nichtigkeitsgrund gesetzt.

3.3.3. Ob die Beklagte ihr ursprüngliches Gesuch nach Art. 176 ZGB bis zur Einreichung der Scheidungsklage bzw. dem Ablauf des Weisungsscheines hätte sistieren lassen sollen, kann hier offen gelassen werden. Jedenfalls war die Beklagte dazu nicht verpflichtet. Der im summarischen Verfahren ergehende Massnahmenentscheid zielt auf eine rasche Regelung des Getrenntlebens der Parteien für die Dauer des Scheidungsprozesses. Dieser Anspruch steht dem Gesuchsteller zu, sobald das Scheidungsverfahren hängig ist. Der Kläger wirft der Amtsgerichtspräsidentin denn auch nicht vor, sie hätte mit der Einholung seiner Stellungnahme zum Gesuch der Beklagten zuwarten müssen.