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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Obergericht
Abteilung:II. Kammer
Rechtsgebiet:Familienrecht
Entscheiddatum:06.06.2006
Fallnummer:22 06 38
LGVE:2006 I Nr. 4
Leitsatz:Art. 140 und 175 f. ZGB. Im Eheschutzverfahren bedürfen Vereinbarungen über den Ehegattenunterhalt der richterlichen Genehmigung. Änderung der in LGVE 1994 I Nr. 2 publizierten Rechtsprechung.
Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Entscheid:Art. 140 und 175 f. ZGB. Im Eheschutzverfahren bedürfen Vereinbarungen über den Ehegattenunterhalt der richterlichen Genehmigung. Änderung der in LGVE 1994 I Nr. 2 publizierten Rechtsprechung.



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Im Verfahren nach Art. 175 ZGB reichte der Gesuchsteller dem Amtsgericht eine Trennungsvereinbarung der Parteien vom 25. Februar 2006 ein, wonach die Parteien unter anderem gegenseitig auf Unterhaltsbeiträge verzichteten. Mit Entscheid vom 20. März 2006 verpflichtete der Amtsgerichtspräsident den Gesuchsteller, der Gesuchsgegnerin ab 1. Januar 2006 bis 30. Juni 2006 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 1'600.-- zu bezahlen, zahlbar ab 1. Mai 2006 bis 31. Oktober 2006. Mit Rekurs vom 10. April 2006 beantragte der Gesuchsteller, es sei von Unterhaltsbeiträgen abzusehen. Das Obergericht wies den Rekurs ab.



Aus den Erwägungen:

3.3.1. Für den Fall der Scheidung hält Art. 140 Abs. 1 ZGB fest, dass die Vereinbarung über die Scheidungsfolgen erst rechtsgültig ist, wenn das Gericht sie genehmigt hat. Zu prüfen ist, ob in analoger Anwendung von dieser Bestimmung auch Vereinbarungen in Eheschutzverfahren wie hier richterlich genehmigt werden müssen. Diese Frage ist in der Lehre umstritten.



Spühler/Frei-Maurer (Berner Komm., Ergänzungsband, N 163 zu Art. 158 aZGB) vertreten die Meinung, eine richterliche Genehmigung von Vereinbarungen im Eheschutzverfahren sei bei Getrenntleben grundsätzlich nicht mehr nötig, mit Ausnahme der vertraglichen Einigung über den Unterhaltsbeitrag zugunsten unmündiger Kinder. Diese Auffassung teilen Bräm/ Hasenböhler (Zürcher Komm., N 156 f. zu Art. 163 ZGB) und Hausheer/Reusser/Geiser (Berner Komm., N 6b zu Art. 175 ZGB). Die genannten Autoren berufen sich dabei auf die Botschaft des Bundesrates über die Änderung des ZGB vom 11. Juli 1979, publiziert in: BBl 1979 II S. 1191 ff., insbesondere S. 1276 Ziff. 219.223.1.



Vetterli (FamKomm. Scheidung, Bern 2005, N 14 zu Art. 175 ZGB), Ott (Der Schutz der ehelichen Gemeinschaft im neuen Eherecht, in: Festschrift für Max Keller, Zürich 1989, S. 77) und Hegnauer/Breitschmid (Grundriss des Eherechts, 4. Aufl., Bern 2000, N 21.23) vertreten demgegenüber die Auffassung, (auch) im Eheschutzverfahren bedürften nicht nur Vereinbarungen betreffend die Kinderunterhaltsbeiträge, sondern auch solche betreffend den Ehegattenunterhalt der richterlichen Genehmigung.



In der Rechtsprechung wurde die Genehmigungsbedürftigkeit in LGVE 1994 I Nr. 2, ZR 91 (1992) Nr. 93 und ZR 103 (2004) Nr. 22 verneint, in ZR 97 (1998) Nr. 55 hingegen bejaht.



3.3.2. Das Obergericht teilt die Auffassung der Vorinstanz, wonach die Vereinbarung der Parteien vom 25. Februar 2006 der richterlichen Genehmigung bedarf. Dies aus folgenden Gründen:



Solange keine der Parteien den Eheschutzrichter anruft, können private Vereinbarungen über das Getrenntleben und die finanziellen Nebenfolgen des Getrenntlebens getroffen werden, ohne dass diese richterlich bewilligt werden müssen. Diese Vereinbarung gilt jedoch nur "auf Zusehen hin" (Hausheer/Reusser/Geiser, a.a.O., N 5b zu Art. 176 ZGB). Gelangt jedoch eine Partei an den Richter, obliegt es diesem, die Vereinbarung zu prüfen (Hegnauer/Breitschmid, a.a.O.), denn in diesem Stadium der Ehe besteht die Gefahr, dass ein Ehegatte eine für ihn ungünstige Vereinbarung abschliesst, weil er in der Zeit der Trennungskrise oft unfähig ist, klar und unbeeinflusst zu entscheiden (Vetterli, a.a.O.; Ott, a.a.O.). Jede Ehe schafft emotionale Nähe und bewirkt soziale Abhängigkeit (Vetterli, a.a.O.). Obwohl in Art. 163 ZGB Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung zwischen den Ehegatten propagiert werden und die Ehegatten die Familienverhältnisse selbst im gegenseitigen Einverständnis festlegen können (Botschaft, a.a.O., S. 1250), entsteht bei einer Trennung, bei welcher sich die Ehe bereits in einer Krise befindet, regelmässig ein Ungleichgewicht zwischen den Ehegatten, und die richterliche Prüfung der Vereinbarung über das Getrenntleben zum Schutz des schwächeren Teils rechtfertigt sich (Vetterli, a.a.O.; Ott, a.a.O.). Das wird für Abmachungen über vorsorgliche Massregeln im Scheidungsverfahren ohne weiteres angenommen (BGE 121 III 393 E. 5b S. 394; Bühler/Spühler, Berner Komm., N 426 zu Art. 145 aZGB) und muss auch für das Eheschutzverfahren gelten (Vetterli, a.a.O.). Entgegen der Botschaft (BBl 1979 II S. 1276 i.V.m. BBl 1979 II S. 1391 FN 218) ist kein Grund ersichtlich, wieso eine Vereinbarung während der Dauer des Scheidungsverfahrens einer richterlichen Genehmigung untersteht, die Vereinbarung im Rahmen des Eheschutzverfahrens, welche vergleichbar mit ersterer ist, vom Richter nur zur Kenntnis genommen werden darf (vgl. Bühler/Spühler, a.a.O., N 163 zu Art. 158 aZGB). Obwohl die Aufhebung des gemeinsamen Haushalts - im Unterschied zum Scheidungsprozess - zwar nur als vorübergehende Massnahme gedacht ist, mit dem Ziel der Behebung der ehelichen Schwierigkeiten, ist eine richterliche Genehmigung in einer akuten Trennungskrise gerade besonders wichtig (vgl. Vetterli, a.a.O., N 14 zu Art. 175 ZGB). Ein Unterschied in der Gerichtspraxis zwischen Eheschutz- und Massnahmeverfahren ist nicht begründet (vgl. Vetterli, a.a.O., N 14 zu Art. 175 ZGB; Bühler/Spühler, a.a.O., N 163 zu Art. 158 aZGB). Dies muss umso mehr in denjenigen Fällen gelten, bei welchen keine oder nur eine geringe Aussicht auf eine Wiedervereinigung der Ehegatten vorhanden ist und das Eheschutzverfahren der Vorbereitung der Scheidung dient (vgl. LGVE 2001 I Nr. 7), wovon hier aufgrund der konkreten Umstände auszugehen ist und was auch vom Gesuchsteller nicht bestritten wird.



Dass in einer Trennungskrise der Schutz des schwächeren Teils geboten sein kann, demonstriert gerade der vorliegende Fall eindrücklich. Das Vorbringen der Gesuchsgegnerin, sie sei zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Vereinbarung in ihrer psychischen Gesundheit beeinträchtigt gewesen, erscheint glaubhaft, da sie sich am Vortag der Unterzeichnung wie auch bereits einmal zuvor in der psychiatrischen Klinik aufgehalten hatte. Die geistige Gesundheit der Gesuchsgegnerin war zudem bereits seit längerer Zeit angeschlagen. Dass der Gesuchsteller diesen Schwächezustand der Gesuchsgegnerin zu seinen Gunsten ausgenützt hat, wie die Gesuchsgegnerin geltend macht, ist in Anbetracht der Einseitigkeit der Vereinbarung vom 25. Februar 2006 zu Lasten der Gesuchsgegnerin vor dem Hintergrund der finanziellen Verhältnisse der Parteien ebenfalls glaubhaft.



Hinzu kommt vorliegend noch folgender Gesichtspunkt: Die Gesuchsgegnerin wird zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts vom Staat unterstützt und bezieht wirtschaftliche Sozialhilfe, währenddem der Gesuchsteller unbestrittenermassen ein monatliches Nettoeinkommen in der Höhe von Fr. 7'225.-- erzielt. Der Gesuchsteller macht Auslagen von Fr. 7'292.-- pro Monat geltend und will dabei Darlehensamortisationen bei seiner Mutter, bei H. sowie bei der Bank berücksichtigt haben. Es geht aber nicht an, dass der Gesuchsteller sich und seine Mutter auf Kosten des Staates finanziell saniert, indem er das Darlehen bei ihr amortisiert (was bei einer künftigen Erbschaft wieder dem Gesuchsteller zugute kommen wird) und sich gleichzeitig seiner Unterhaltspflichten gegenüber seiner Ehefrau entledigt, so dass letztlich der Staat für deren Unterhalt aufzukommen hat. Einem solchen Gebaren hat die Vorinstanz zu Recht Einhalt geboten, indem sie die Vereinbarung vom 25. Februar 2006 nicht genehmigt hat, zumal der Gesuchsteller bei deren Unterzeichnung offenbar den psychisch beeinträchtigten Gesundheitszustand der Gesuchsgegnerin ausgenutzt hat. Auch ist zu bemerken, dass mit dieser Vereinbarung im wirtschaftlichen Ergebnis letztlich ein Vertrag zu Lasten eines Dritten, nämlich des Staats, geschlossen wurde.

Aus all den dargelegten Gründen kann daher an der in LGVE 1994 I Nr. 2 publizierten Rechtsprechung nicht mehr festgehalten werden.



II. Kammer, 6. Juni 2006 (22 06 38)