Drucken

Rechtsprechung Luzern


Instanz:Obergericht
Abteilung:II. Kammer
Rechtsgebiet:Familienrecht
Entscheiddatum:10.11.2008
Fallnummer:22 08 89
LGVE:2009 I Nr. 6
Leitsatz:Art. 256 Abs. 3 ZGB. Der Kenntnis der eigenen biologischen Abstammung kommt elementare Bedeutung zu. "Kaschierte Familienverhältnisse" liegen nicht im Kindeswohl.
Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Entscheid:Art. 256 Abs. 3 ZGB. Der Kenntnis der eigenen biologischen Abstammung kommt elementare Bedeutung zu. "Kaschierte Familienverhältnisse" liegen nicht im Kindeswohl.



======================================================================

Mit Urteil vom 11. Juli 2008 hob das Amtsgericht das Kindesverhältnis zwischen dem Kläger und dem Erstbeklagten (geb. 07.01.2002) rückwirkend auf den 7. Januar 2002 auf. Die von der Zweitbeklagten - der Mutter des Erstbeklagten - gegen dieses Urteil erhobene Appellation wies das Obergericht ab.



Aus den Erwägungen:



Es ist in diesem Zusammenhang aber auch einem anderen Gedanken Rechnung zu tragen. Die völkerrechtliche, mittlerweile aber auch die nationale Gesetzgebung lässt sich vermehrt vom Grundsatz leiten, dass es im Kindeswohl liegt, um seine eigene biologische Abstammung zu wissen. Gerade in Staaten mit ausgebauter sozialer Wohlfahrt ist es nicht mehr primäres Ziel, dem Kind unabhängig vom biologischen Kindsverhältnis mit einer rechtlichen Vaterschaft einen "Versorger" zu geben. Vielmehr soll vorrangig sein, dass die biologische Vaterschaft bekannt oder nachforschbar ist, um die "materielle Wahrheit" betreffend das Kindsverhältnis zu erfahren. Dies ist bei der Aufrechterhaltung eines sogenannt sozialpsychologischen Kindsverhältnisses nicht möglich oder doch zumindest erschwert. Bereits vor mehreren Jahren hat das Bundesgericht übrigens ausgeführt, der Anspruch, die leiblichen Eltern zu kennen, stehe dem volljährigen Adoptivkind aus Verfassungsgründen unabhängig von einer Abwägung mit entgegenstehenden Interessen zu (BGE 128 I 63). Art 286c ZGB wurde in der Folge im Zusammenhang mit dem Haager Adoptionsübereinkommen entsprechend geändert. Der elementaren Bedeutung der Kenntnis der eigenen Abstammung wurde auch im Bereich der Gesetzgebung über die künstliche Insemination Rechnung getragen. So ist in Art. 119 Abs. 2 lit. g BV festgehalten, dass jede Person Zugang zu den Daten über ihre Abstammung hat. Nach Art. 27 des Fortpflanzungsmedizingesetzes (FMedG) kann das volljährige Kind Auskunft über die äussere Erscheinung und die Personalien des Spenders verlangen. Im Übrigen kann es vor Erreichen des Erwachsenenalters jederzeit Auskunft über alle Daten des Spenders verlangen, wenn es ein schutzwürdiges Interesse daran hat (Art. 27 Abs. 2 FMedG). Dies entspricht auch dem Grundgedanken von Art. 7 Abs. 1 UN Kinderrechtekonvention (KRK): Danach ist der Zugang einer Person zu den Daten ihrer Abstammung zu gewährleisten. Auch Art. 8 EMRK schützt das Interesse einer Person, die eigene Abstammung zu kennen (BGE 134 III 241, 243 E. 5.2.1). Diese Tendenzen in der Gesetzgebung resp. in den zwischenstaatlichen Abkommen zeigen klar die Bedeutung der biologischen Vaterschaft. Dem Kläger und auch dem gesetzlichen Vertreter des Erstbeklagten ist deshalb insofern Recht zu geben, als sie auf das längerfristige Interesse des Kindes an der Kenntnis seiner wahren Abstammungsverhältnisse hinweisen und deshalb "kaschierte Familienverhältnisse" nicht in seinem Wohl liegen würden.



Die Argumentation der Zweitbeklagten, für den Erstbeklagten sei das Wissen um die biologische Vaterschaft nicht so wichtig, weil es vielmehr seinem Wohl entspreche, einen sozialpsychischen Vater zu haben, greift unter Berücksichtigung der bisherigen Ausführungen zu kurz. Es ist zu berücksichtigen, dass der Erstbeklagte zum Zeitpunkt des die Frist wahrenden Sühnebegehrens 5 ¾ Jahre alt war. Ein Kontakt zwischen dem Kind und dem Kläger besteht nicht mehr. Angesichts des zum massgebenden Zeitpunkt (19.10.2007) noch jungen Alters des Erstbeklagten und der Tatsache des Kontaktabbruchs zwischen ihm und dem Kläger sind die Ausführungen der Zweitbeklagten bezüglich der Wichtigkeit des Klägers als Bezugsperson für den Erstbeklagten zu relativieren, wovon offensichtlich auch sein Beistand ausgeht. Anders als im Urteil des Bundesgerichts vom 19. Februar 2007 (5C.217/2006), in welchem das Kind im Zeitpunkt der Klageanhebung knapp elf Jahre alt war, liegt hier aufgrund der viel kürzeren Beziehungsdauer eine weniger starke sozialpsychische Bindung zwischen dem Erstbeklagten und dem Kläger vor. Zwar ist mit der rechtlichen Vaterschaft die Unterhaltspflicht verbunden, was für das Kind von einem gewissen Interesse ist. Andererseits kann dieses rein finanzielle Anliegen das Interesse des Kindes an der Kenntnis seiner wahren Abstammungsverhältnisse nicht überwiegen. Dies wird denn auch von der Zweitbeklagten zu Recht nicht geltend gemacht.



II. Kammer, 10. November 2008 (OG 22 08 89)