Drucken

Rechtsprechung Luzern


Instanz:Obergericht
Abteilung:1. Abteilung
Rechtsgebiet:Erbrecht
Entscheiddatum:20.04.2011
Fallnummer:11 10 142
LGVE:2011 I Nr. 8
Leitsatz:Art. 477 Ziff. 2 ZGB. Umstände, welche eine Enterbung wegen schwerer Verletzung familienrechtlicher Pflichten rechtfertigen.
Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Entscheid:Art. 477 Ziff. 2 ZGB. Umstände, welche eine Enterbung wegen schwerer Verletzung familienrechtlicher Pflichten rechtfertigen.



======================================================================



In einer letztwilligen Verfügung enterbte X. seine Ehefrau und setzte seinen Adoptivsohn als Alleinerben ein. Nach dem Tod von X. klagte dessen Ehefrau (Klägerin) gegen den Adoptivsohn (Beklagter) unter anderem auf Ungültigerklärung ihrer Enterbung sowie auf Herabsetzung der letztwilligen Verfügung des Erblassers auf das erlaubte Mass, mithin auf Zusprechung des Pflichtteils am Nachlass. Das Amtsgericht bejahte den Enterbungsgrund der schweren Verletzung familienrechtlicher Pflichten. Dies wurde vom Obergericht bestätigt.



Aus den Erwägungen:

5.- Der Erblasser kann nach Art. 477 ZGB durch Verfügung von Todes wegen einem Erben den Pflichtteil entziehen, wenn dieser gegen ihn oder eine ihm nahe verbundene Person eine schwere Straftat begangen hat (Ziffer 1) oder wenn er dem Erblasser bzw. einem seiner Angehörigen gegenüber die ihm obliegenden familienrechtlichen Pflichten schwer verletzt hat (Ziffer 2). Der Erblasser enterbte die Klägerin im Testament vom 11. Juni 2007. Als Gründe gab er schwere Drohungen, mehrfache Unterlassung der Nothilfe sowie massive Verletzung der eherechtlichen bzw. familienrechtlichen Unterstützungspflicht an.



5.1. Die Vorinstanz bejahte den Enterbungsgrund der schweren Verletzung familienrechtlicher Pflichten, nicht aber denjenigen einer schweren Straftat.



5.1.1. Der Erblasser wurde Ende 1990 wegen eines Oropharyngskarzinoms (Karzinom des Mundrachenraums) operiert und war seither auf eine Trachealkanüle angewiesen, die regelmässig sorgfältig gewechselt werden musste. Die Vorinstanz ging aufgrund unbestrittener Angaben des Beklagten und gestützt auf das Beweisergebnis davon aus, dass der Erblasser seit längerem in einem schlechten Zustand gewesen sei, der sich kontinuierlich verschlimmert habe. Es sei der Klägerin nach eigenem Vorbringen bewusst gewesen, dass er über drei Wochen vor seiner notfallmässigen Einlieferung am 16. April 2007 in das Kantonsspital grösste Schwierigkeiten bei der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme gehabt habe. Sie habe die nötigen Hilfeleistungen nicht an die Hand genommen, nichts gegen seine Verwahrlosung unternommen und es zugelassen, dass er in eine lebensbedrohliche Situation geraten sei. Weiter nahm die Vorinstanz aufgrund von Zeugenaussagen als sehr wahrscheinlich an, dass der Erblasser zu Hause nicht geduldet worden sei, weshalb er sich im Winter 2006/2007 tagsüber immer draussen auf einer Parkbank aufgehalten habe. Er habe sicher einige Jahre sein Essen in einem Mikrowellenherd, den ihm die Klägerin in sein Schlafzimmer gestellt habe, wärmen und dort einnehmen müssen. Diese habe ihm auch eine WC-Schüssel neben dem Bett einbauen lassen. Es sei schwer vorstellbar, dass der Erblasser freiwillig im gleichen Raum, in dem sich das WC befand, gegessen und geschlafen habe. Nach seiner Entlassung aus dem Spital (am 10.05.2007) habe sich herausgestellt, dass die Klägerin die Ersparnisse des Erblassers auf ihre Konti habe überweisen lassen. Sie habe dem Erblasser, nachdem er zu seinem Sohn gezogen sei, zumindest bis zum Erlass der dringlichen Anordnung einer vorsorglichen Massnahme die finanzielle Unterstützung versagt, obwohl sie dazu in der Lage gewesen wäre. Die AHV-Einkünfte des Erblassers, auf die er keinen Zugriff gehabt habe, sowie die Mietzinseinnahmen aus seinem Haus seien auf ihre Konti geflossen und von ihr verwaltet worden. Auch seine Ersparnisse von rund einer Million Franken seien auf einem ihrer Konti gelegen; diese habe sie zudem offensichtlich für sich behalten wollen. Die Klägerin habe mit ihrem Verhalten die eheliche Beistandspflicht schwer verletzt.



5.1.2. Mit diesen Ausführungen im vorinstanzlichen Urteil hat sich die Klägerin nicht substanziiert auseinandergesetzt, weshalb sie als unbestritten gelten. Sie wendet im Wesentlichen ein, es hätten nicht nur die Verhältnisse unmittelbar vor dem Tod des Erblassers, sondern die langjährigen Familienverhältnisse (Alkoholiker-Ehe mit allen leidgeprägten Folgen für die Klägerin, ständige Gefährdung der wirtschaftlichen Existenzgrundlagen wegen des übermässigen Alkoholkonsums des Erblassers etc.) mitberücksichtigt werden müssen. Diese Kritik erweist sich als unbegründet. Schon aus dem oben Gesagten (E. 5.1.1) ergibt sich, dass die Vorinstanz bei der Prüfung des Enterbungsgrundes keineswegs ausschliesslich auf die Zeit unmittelbar vor dem Tod des Erblassers abgestellt hat. Sodann ist unbestritten und ergibt sich auch aus den Akten, dass der Erblasser früher (gemäss den Angaben des Beklagten bis zur Operation 1991) übermässig Alkohol konsumiert hatte. In den medizinischen Akten finden sich keine Hinweise auf Alkoholprobleme des Erblassers nach diesem Zeitpunkt. Die heutigen Vermögensverhältnisse zeigen zudem, dass die wirtschaftliche Existenzgrundlage der Familie nie gefährdet war. Welches Verhalten bzw. Mitverschulden des Erblassers überdies mitzuberücksichtigen wäre, begründet die Klägerin nicht näher. Zum Vornherein nichts zu ihrer Entlastung ergibt sich aus dem Umstand, dass die Beziehung zwischen ihr und dem Erblasser offensichtlich schon länger gestört, eine anständige Kommunikation nicht mehr möglich und das Scheidungsverfahren eingeleitet war. Die festgestellten Pflichtverletzungen gehen weit über das hinaus, was im Rahmen von ehelichen bzw. eherechtlichen Auseinandersetzungen als zum üblichen Konfliktverhalten gehörend bezeichnet werden darf (vgl. Fankhauser, in: Erbrecht, Praxiskomm., 3. Aufl., Art. 477 ZGB N 17; ders., FamKomm. Scheidung, Bd. I, 2. Aufl., Art. 115 ZGB N 10). Dass der Erblasser seine Ehefrau mit Testament vom 22. Juli 1991 noch als Alleinerbin eingesetzt hatte, ist ohne Bedeutung. Entscheidend ist, dass er sie mit Testament vom 11. Juni 2007 enterbt hat. Allein das zeitliche Zusammentreffen mit dem von ihm eingeleiteten Scheidungsverfahren (Aussöhnungsgesuch vom 27.06.2007) rechtfertigt die Annahme einer Kurzschlusshandlung des im Übrigen unbestritten urteilsfähigen Erblassers nicht. Andere Gründe hat die Klägerin nicht vorgetragen.



Unbehelflich sind schliesslich die (wenig konkreten) Einwendungen der Klägerin, der Erblasser habe als Alleineigentümer über die Art und Weise der Mitbenützung der ehelichen Liegenschaft und die Verwaltung seiner finanziellen Mittel selbst bestimmen können. Sie hat nicht substanziiert bestritten, dass sie den Erblasser gegen seinen Willen aus der Wohnung bzw. aus den gemeinsamen Räumen verbannt, seine Einkünfte ohne sein Einverständnis auf ihr Konto überwiesen und mit ihrem Verhalten die familienrechtlichen Pflichten schwer verletzt hat. Ebenfalls unbeachtlich ist ihr Einwand, der Erblasser hätte sich selbst ärztliche oder andere Hilfe organisieren oder die Dienste der Spitex beanspruchen können, was er jedoch abgelehnt habe. Die Vorinstanz hat dazu festgehalten, selbst wenn der Erblasser Hilfsangebote nicht akzeptiert hätte und der schlechte Pflegezustand auf eigene Nachlässigkeit zurückzuführen gewesen wäre, würde dies nichts daran ändern, dass er hilfebedürftig gewesen sei und die Klägerin nichts unternommen habe. Auch mit diesen Feststellungen hat sich die Klägerin nicht substanziiert auseinandergesetzt, weshalb es dabei sein Bewenden hat.



5.2. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Vorinstanz den Enterbungsgrund der schweren Verletzung familienrechtlicher Verpflichtungen zu Recht bejaht hat.



1. Abteilung, 20. April 2011 (11 10 142)



(Das Bundesgericht hat die dagegen erhobene Beschwerde am 5. September 2011 abgewiesen [5A_370/2011].)